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Alpenrosenpoesie war einmal

SALZ / SCHWEIZER LITERATUREN

05/07/11 Eidgenössischer Provinzialismus – das war, wen überhaupt, früher  einmal. Das neue Heft der Salzburger Literaturzeitschrift SALZ widmet sich jungen Schweizer Autorinnen und Autoren und zeichnet ein beeindruckendes Bild einer heterogenen ‚Nationalliteratur‘ jenseits der etablierten Größen.

Von Harald Gschwandtner

„Das Alpenglühen und die Alpenrosenpoesie sind […] bald erschöpft, einige gute Schlachten bald besungen, und zu unserer Beschämung müssen wir alle Trinksprüche, Mottos und Inschriften bei öffentlichen Festen aus Schillers Tell nehmen, welcher immer noch das Beste für dieses Bedürfnis liefert.“ Heinrich Lee, der „Grüne Heinrich“ in Gottfried Kellers großem Roman, hat keine eben hohe Meinung von den schönen Künsten seiner Heimat, als er von zuhause aufbricht. Doch so wie Heinrichs Träume von einem ‚neuen Leben‘ an der harten Realität zuschanden gehen, ist auch seine poetologische Einschätzung längst nicht mehr up to date.

Das neue Heft der Salzburger Literaturzeitschrift SALZ widmet sich einer neuen schweizerischen Literatur. Einer Literatur, die der deutschen und österreichischen gerade die Vielsprachigkeit voraushat. So findet sich hier neben Übersetzungen aus dem Italienischen (Vincenzo Todisco) und Französischen (Eugène, Pierre Lepori) auch ein Text von Arno Camenisch, der wie sein Debüt „Sez Ner“ (2009) parallel auf Deutsch und Rätoromanisch verfasst wurde.

Die Frage der Position zum eigenen sprachlichen, nationalen, ja auch topographischen Erbe zwischen „Faszination“ und „Schrecken“ prägt weite Teile seines Werks. So schildert der Autor, der vergangenen Dienstag das SALZ-Heft gemeinsam mit Sandra Hughes und Liliane Studer im Literaturhaus präsentierte, in seinem neuesten Prosaband „Hinter dem Bahnhof“ (2010) eine dörfliche, oft grotesk anmutende Archaik, die aus der Perspektive eines naiven und dabei beeindruckend hellsichtigen Kindes erzählt wird. Und das mit einer humoristischen Verve, die österreichischen Dorfgeschichten gerne fehlt.

Dörflich? Archaisch? Das klingt vorerst gefährlich. „Die Schweizer Literatur hat mit der Schwierigkeit, als Provinzliteratur gesehen zu werden, zu kämpfen“, schreibt die Kritikerin Liliane Studer in ihrem Vorwort – freilich nur, um diese Gefahr umgehend zu relativieren. Auch die literarischen Beiträge entkräften dieses Vorurteil endgültig. So beginnt Franco Supinos „Der Lawinenauslöser“ zwar wie eine Erzählung aus den Schweizer Bergen, wie die Schilderung einer ruhigen – beinahe typisch schweizerischen – Profession. Doch wird schnell klar, dass es hier mitnichten um die Verhütung von Unfällen im Gebirge geht. Stattdessen kippt der Text in eine hintergründige Medienkritik, wenn es heißt: „Der Populismus ist meine Frau Holle. Mein Schnee ist die Empörung.“

Auch Sandra Hughes spielt mit standardisierten Lesererwartungen – in ihrem Fall mit jenen an eine heterosexuelle Liebesgeschichte („Franzi, Liebling“). Wie in ihrem Roman „Lee Gustavo“ (2006) inszeniert sie geschickt die Variabilität von Geschlechterrollen, präsentiert Geschichten, die weitab ihrer eidgenössischen Lebenswelt liegen.

Doch bei allem Kosmopolitismus (siehe den Beitrag von Simona Ryser), bei aller Vielsprachigkeit und motivischen Vielfalt: Selbst wenn Autorinnen wie Dorothee Elmiger inzwischen ihren Lebensmittelpunkt in Berlin gefunden haben (wie dereinst auch Robert Walser), wenn die Themen der hier präsentierten Texte nun oft keine spezifisch schweizerischen sind, so scheint doch immer wieder eine Beziehung zu einer Art von Heimat durch: Die Topographie stecke dann auch in den Texten, meinte Camenisch im Gespräch mit Studer.

Die Frage, was genau nun eine Schweizer Literatur ausmacht, kann und will dieses Themenheft nicht klären. Es zeigt vielmehr die enorme Spannbreite der jungen Schweizer Gegenwartsliteratur (50 Jahre waren die Altersgrenze für die Auswahl der Autorinnen und Autoren), gibt Hinweise und legt Spuren für weitere Lektüren. Die mit der Verleihung des Deutschen und Schweizer Buchpreises zuletzt schlagartig bekannt gewordene Melinda Nadj Abonji ist hier ebenso zu finden wie Autorinnen und Autoren, die ihrer internationalen Entdeckung noch harren. Kurze und dichte Texte für zwischendurch, für Daheimbleibende ebenso wie für sommerliche Unterwegsleser.

Literaturforum Leselampe/SALZ (HG.): Literaturzeitschrift SALZ 144. Salzburg, Juni 2011. Literatur aus der Schweiz  - www.leselampe-salz.at

 

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