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Moos zwischen den Zehen vom langen Warten

BUCHBESPRECHUNG / LAHER / VERFAHREN

05/08/11 Kann und soll Literatur die Wirklichkeit verändern? Sie ersetzen? Oder sie gegen eine bessere austauschen? Viele Vertreter der „engagierten“ Literatur haben sich diese Fragen - vor allem aber ihre apodiktische Bejahung - zur poetischen Maxime gemacht. Anders Ludwig Laher.

Von David C. Pernkopf

Ludwig Laher gibt einen literarischen Einblick in das Thema Asyljustiz und bleibt dabei unerwartet neutral, themensicher und poetisch. Ohne linksromantische Larmoyanz, aber mit der erfrischenden Verve einer realistischen Poesie, die das, was sie zu sagen hat, auch zwischen den Zeilen und durch die literarische Form sagen kann, kommt der Text in Bewegung: „Immer noch stehen da täglich Altfälle vor ihm, die sich, aus öffentlichem Interesse weitgehend zur Untätigkeit verurteilt, bereits sieben, acht Jahre im Land aufhalten, hoffen und bangen, Moos zwischen den Zehen vom langen Warten.“

Im Unterschied zu vielen Zeitgenossen, die ähnliche Themen in Form von Diskurs-Dropping im narrativen Vakuum aufarbeiten, erzählt dieser Text auch. Er erzählt die Geschichte dreier Figuren, deren Leben in unterschiedlicher Weise an die österreichische Asylpolitik gebunden ist: Die Serbin Jelena Savicevic, die den Mittelpunkt des Romans ausmacht, ist ein geschundenes Opfer häuslicher, ethnischer und sexueller Gewalt, die in der Flucht nach Österreich eine Erlösung von ihren traumatische Qualen sucht. Sie ist die Schmerzensfrau des Romans: „Die Krankenhausbefunde führen Jelenas mittelschwere Genitalverletzung im Detail auf. (…) Gefunden wurde sie am sechzehnten April von einem Bauern (…). Fast vierzig Kilometer entfernt von zuhause lag sie zusammengekrümmt im Straßengraben und wimmerte leise. Versuche, auf sich aufmerksam zu machen, hatte sie offenbar keine unternommen.“

Die Figur des Asylrichters Dr. Rainer Zellweger, der über den ‚Ausgang‘ von Asylwerbeverfahren befinden muss und dabei gerne den Vergleich mit dem Jüngsten Gericht der christlichen Apokalypse heranzieht, ist vielleicht die vielschichtigste des Romans: Etwas zum Anhalten sucht der studierte Germanist und Kunstgeschichtler - und wird Asylanwalt. Die persönliche Haltung wird dabei jedoch immer mehr zum Zurückhalten seiner eigenen Meinung, die er hinter stereotypen Meinungen und hinter dem Jota des Asylgesetzes versteckt, bis ihn die Gespräche mit einem „neugierigen Journalisten“ aus der Reserve locken.

Das Kapitel „Moos zwischen den Zehen“ über den möglichen Wendepunkt in Zellwegers Innerem gehört zu den Schmankerln des Romans: Hier geschieht die Überführung des Faktischen ins Literarische am treffsichersten: „Exakt sieben Jahre und drei Monate leben sie nun also schon in diesem Haus. Die wuchernde Vegetation da draußen illustriert die Ausmaße dieses an sich völlig abstrakten Zeitraumes wunderbar. Seit er sich neulich mit einem neugierigen Journalisten oder Sachbuchautor ausführlich über seinen beruflichen Alltag, vielleicht ein wenig zu ausführlich unterhalten hat, ist Dr. Zellwegers Routinezugang zu seiner Arbeit vorübergehend ein bißchen angeknackst. (…) Morgen wird durch sein Zutun wieder einer weniger sein, wenn nicht gar zwei.“

Durchsetzt sind die Begegnungen mit Dr. Zellweger und die Erzählpassagen aus dem Leben Jelenas mit biografischen Notizen zu einem gewissen Kurt Lippmann, einem emigrierten jüdischen Psychiater, der Jelena später finanziell unterstützen wird. Das ansonsten schon etwas abgenutzte Sujet vom Schicksal eines jüdischen Emigrés findet hier eine interessante Entsprechung, kann man doch darin eine Beziehung zum Flüchtlingsdasein Jelenas erkennen, auch wenn die politischen Hintergründe nicht zu vergleichen sind.

In der formalen Verknüpfung dieser drei Leben ist die österreichische Asyljustiz Drehscheibe der Begegnungen mit den Figuren aber auch mit dem Autor, der sich in kurzen metapoetischen Inserts „in Gesprächen mit einem Journalisten oder Sachbuchautor“ zu erkennen gibt und somit seine produktionsästhetische Handschrift aufscheint.

Doch vermeidet es der Erzähler Stellung zu beziehen. Fast immer hält er ein realistisches Erzählen, das den Erzähler als absent fingiert, durch. Auch in jenen Passagen, wo es zu einem peinlichen Aufdecken der mitunter unmenschlichen und absurd wirkenden Alltagspraktiken innerhalb der Exekution des Asylrechts kommt, kann er sich zurücknehmen, indem er sein Befinden in einer Aussage des Asylrichters aufgehen lässt: „Es gibt da wirklich Niederschriften, wo ich mir denke, wie kann man, wenn man alle Tassen im Schrank hat, so etwas Absurdes überhaupt zu Papier bringen? … in Mann erklärt, er habe noch einen Sohn in diesem oder jenen Land. Frage: Wie alt ist denn ihr Kind? Antwort: Zehn Jahre. Darauf die Beamtin: Ha, jetzt habe (!) ich Sie erwischt, weil bei ihrer letzten Einvernahme vor zwei Jahren haben Sie noch erklärt, Ihr Sohn wäre acht.“

Streckenweise liest sich der Roman als Schwarzbuch der Asyljustiz. Die Distanz zum Thema lässt der Autor aber nie schleifen und darin lässt sich der literarische Mehrwert des Buches finden. Die poetische Form Lahers ist Imitation, Zitation und Anverwandlung von Recherchematerial über das Asylthema. Sie zeigt sich aber auch in ihrer mehrdeutigen und sprachbewussten Varianten, wie bereits im Titel „Verfahren“ deutlich wird.

Ludwig Laher: Verfahren. Roman. Haymon Verlag, Innsbruck 2011. 180 Seiten, 19.90 Euro.

 

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