Springen und Schreien, Heischen und Hüpfen
BUCHBESPRECHUNG / BORSTENVIEH UND DONAUWALZER
15/12/17 Nur kein Abgesang auf Althergebrachtes! Bräuche, auch – oder gerade – solche zur Jahreswende, leben noch. Haben sich entweder so erhalten wie sie schon vor hundert und mehr Jahren gang und gäbe waren. Oder haben sich gewandelt, von ihren Ursprüngen entfernt und neue Anstriche bekommen.
Von Hans Gärtner
Man schreibt sich noch Neujahrskarten, mit Hufeisen und Fliegenpilz oder mit rosigen Schweinchen und rußigen Schlotfegern als Glückssymbolen. Dem Aberglauben bleiben Tür und Tor geöffnet. Da mochte die Kirche noch so verschnupft reagieren. Am Silvesterabend wird nach wie vor Blei gegossen und aus den verschrumpelten Gussformen die Zukunft gelesen. Weder der heilige Papst Sylvester noch das am 1. Januar gefeierte Hochfest der Gottesmutter Maria konnten, brauchtumsmäßig, dagegenhalten.
Die Frage ist, ob die katholische Kirche, die zahlreiche jahreszeitlich gebundene Gepflogenheiten aus dem Heidentum übernahm und verändert ins (gläubige) Volk hineintrug, ein Buch wie dieses willkommen heißt. Schon der Titel mag ihr aufstoßen, entbehrt er doch jeglichen religiösen Bezug. Im Gegenteil: er lädt, hedonistisch, zum Schmausen und Tanzbeinschwingen ein, hebt auf so Loses und Lockeres wie die Operette und auf feucht-fröhliche Lustbarkeit ab. Zudem kommt er ganz unkonventionell daher mit seinem „Fensterl“ im Cover und dem auf Farbigkeit verzichtenden aparten Querformat.
Bunt wird's erst beim Blättern, aber dann so richtig! Man entdeckt, dass fast zu jedem Kapitel ein passendes Farbfoto gestellt ist. Da überwiegt die Verkleidungsfreude bei Männern: Fesche zylindertragende Junggesellen vereinigen sich im westfälischen Salchendorf in einer verrückten „Wurstekommission“, um kritisch aufs alte Jahr zurückzublicken. Junge Burschen vertreiben goaßl-schnalzend in der Stadt Salzburg und im nahen Rupertiwinkel den Winter.
Der Chefredakteur des DrehPunktKultur, der auch Volkskunde studiert hat, kennt sich damit gut aus, was Brauch war und noch geblieben ist. Mit diesem ganz neuartigen Brauchtums-Buch verfährt er inhaltlich nicht anders als er es in den Vorgänger-Bänden tat, legt aber formal ein Novum vor. Da hat er's Gschau. Denn so ein flott aufgemachtes, handliches Lesewerk ist attraktiv. Man nimmt es gern zur Hand und liest sich auf Anhieb in die seltsamen Blüten hinein, die sich aus Heidnischem und Christlichem mischten und Traditionen bis in unsere digital nüchterne, virtuelle Welt hochhalten.
Als versierter Kulturjournalist holt Reinhard Kriechbaum, bei aller Stil-Präzision, wenn es nötig ist weit aus. Er versteht es, Geschichtliches mit Rituellem aus dem ihm keineswegs fremden Katholizismus freudestiftend zu verbinden und formuliert sowohl auf wissenschaftlichem Niveau als auch so locker und unterhaltsam wie es das Thema erfordert. Viel ist die Rede vom Kalender und von alten Kalendarien, vom Lärmen, Brüllen und furchterregenden Gebaren Vermummter, die dem Winter in kalten Gebirgsnächten den Garaus machen, vom Wünschen und Raten, vom lieblichen Glockengeläut und von der österreichischen Walzerkultur, vom Neujahranblasen und -anschießen, ja sogar Neujahrschreien, vom Schenken und Spenden und Heischen und Hüpfen am Ende eines alten und am Beginn eines neuen Kalenderjahres.
„Silvesterlauf statt Neujahrssprung“ – die Mobilität hat sich aus den früheren tollen Springereien aufs nicht weniger tolle Massenlaufen verlagert. Solche Bräuche, die die Menschheit auf Trab halten und zugleich ihrer Fitness dienen, sind im ganzen deutschen Sprachraum üblich geworden. Diesen deckt der Autor mit spezifisch Gebräuchlichem ebenso ab wie mit Verbindendem. Von der Nordsee bis zu den Alpen.