Vom Blickicht der Fahnen
BUCHBESPRECHUNG / WEINMÜLLER / KALTNER / GESETZT DEN FALL
14/12/17 Von den ersten Fahnen, die der junge Karl Hartwig Kalter um 1990 den Bergwinden über Genua aussetzte – um die Reste feinsäuberlich zu „restaurieren“ – gibt es keine Dokumentation. Wie erhellend eine gut fotografierte Dokumentation sein kann, zeigt ein hoch ambitioniertes Buch aus dem Tauriska Verlag über Kaltners Installationen mit Fahnenbildern 2015 im Salzburger Dom.
Von Heidemarie Klabacher
Noch vor dem Inhalt beansprucht die Hülle Aufmerksamkeit. Zwei dicke Kartons schützen den Buchblock. Diese Kartons sind ein wenig kleiner, als die übereinander gelegten dünnen „Hefte“ aus denen das Buch besteht. Diese „Lagen“ wurden zusammengenäht und sind am offenen Buchrücken zu studieren – als anschauliches Beispiel mittelalterlicher Buchkunst, interpretiert mit dem offenen Blick moderner Buchgestaltung.
„Gesetzt den Fall“ ist ein buchmacherisches Meisterstück. Ein Kunstwerk. Es gibt diese Aktion „Schönste Bücher Österreichs“. Da möchte man „Fahnenbilder“ als Kandidaten vorschlagen, fast noch bevor man das Buch überhaupt aufgeschlagen hat.
Eine kurze Einführung von Carl Maria Drogo „Zu den Fahnenbildern von K.H. Kaltner“ eröffnet das Buch. Im Rahmen der Aktion „Offener Himmel“ der Erzdiözese Salzburg organisierte der aus Hopfgarten stammende Galerist Peter Ainberger Installationen mit Kaltners Fahnenbildern 2012 in der Pfarrkirche Hopfgarten im Brixental. 2015 lud der damalige Dompfarrer Balthasar Sieberer den Künstler in den im Dom zu Salzburg, ebenfalls im Rahmen des „Offenen Himmels“. Der Fotograf Thomas Trinkl dokumentierte die Aktionen. Trinkls Fotos sind bei aller technischen Virtuosität von großer charismatischer Aussage- und Ausstrahlungskraft.
Das „gleiche“ Bild einmal in tagheller Schärfe aufgenommen, einmal in nächtlicher Grobkörnigkeit: Diese Gegenüberstellungen kommt ein zwei Mal vor und vermitteln auch im Nachhinein einen Eindruck von der Bandbreite der Sogkraft von Kaltners Arbeiten.
Mit sprichwörtlich „leichter Hand“ eingestreut zwischen den Fotos sind federleichte Texte - Gedichte, Gedanken – von Gerlinde Weinmüller. Kaltner arbeitet für seine Projekte gern mit Künstlerinnen und Künstlern anderer Genres zusammen, etwa Komponisten, wie dem 1996 verstorbenen Gottfried von Einem, oder Peter Wesenauer. Oder, bereits mehrmals, mit der Salzburger Autorin Gerlinde Weinmüller.
Wind, Windrose oder Windhund, Sturm oder Flügel sind Motive. Diese feinen Texte können, obwohl von Kaltners Fahnen inspiriert, durchaus eigenständig gelesen werden. Das besonders Reizvolle ist dennoch die gelungene – weil unaufdringliche – Symbiose zwischen den opulenten Arbeiten der bildenden und den - wie gesagt – federleichten Arbeiten der dichterischen Kunst. Wie aktuell beherzigenswert ist nicht dieser „Ratschlag“ der Dichterin:
jenem Wind vertrauen
der nicht aufkommen will
wenn sie die fahnen hängen
nach den mächtigen.