Lost ihr Herrn
BUCHBESPRECHUNGEN / NACHTWÄCHTER UND TÜRMER
19/12/17 Ein kleines Redaktionsgeheimnis sei gelüftet: DrehPunktKultur pflegt eine besonders innige Beziehung zu Nachtwächtern: Unser Musikkritiker Horst Reischenböck tauscht nämlich regelmäßig Konzertsaal, Ohren und Notizblock gegen Laterne und Hellebarde und führt Salzburg-Gäste als Nachtwächter durch die Stadt.
Von Reinhard Kriechbaum
Natürlich fehlt er auch nicht in dem Buch „Nachtwächter und Türmer“. Gleich auf Seite 14 ist Reischenböck in voller Adjustierung mit seinem Kollegen Werner Knoll im Bild. Der Autor Ulrich Metzner bezeichnet Reischenböck übrigens als „Salzburger Ureinwohner“ und verweist darauf, dass Knolls Familie „seit fünfhundert Jahren an der Salzach beurkundet ist“. Solchen Leuten darf man schon die Nachtwache anvertrauen.
Wie hoch die Anzahl an Indigenen à la Reischenböck im deutschen Sprachraum ist? Fünf dicht bedruckte Seiten nehmen ihre Namen, Telefonnummern, Post- und Mailadressen in dem sympathisch-schrulligen Buch ein. Keine Frage also: Die Nachtwächter-Population gehört nicht zu den gefährdeten, sondern zu den prosperierenden Arten in Gottes Tiergarten. Und, was noch mehr wundert: Es gehen sowohl in Österreich als auch in Deutschland gar nicht so wenig Nachtwächterinnen um. Das ist freilich eine absolut neue Entwicklung. „Frauen hatten in der Stadt ohne männliche Begleitung in der Nacht auf den Straßen nichts zu suchen.“ Das hat Horst Reischenböck dem Autor erklärt. Klar, dass er, der Musikkenner, den Autor auf Heinrich Ignaz Franz Bibers „Nachtwächter-Serenade“ aufmerksam gemacht hat, in der sich der Sänger mit dem Ruf „Lost ihr Herrn“ einführt.
Wenn wir schon von Salzburg reden: Hans Anton Gogl, auch ein gerade aktiver Salzburger Nachtwächter, hieß den Buchautor in Lorenz Hübners 1793 veröffentlichter Stadtbeschreibung nachschlagen. Da erfährt man, dass Salzburg „nach dem Beyspiele der vermöglichsten und publizirtesten Europäischen Städte“ neuerdings „die Wohlthat nächtlicher Beleuchtung“ genieße: 187 Laternen, schrieb Hübner, und wenn im Ballhaus (dem heutigen Landestheater) „Comödien“ gegeben wurden, kämen weitere neun dazu. Der Nachtwächter hatte also genug zu kontrollieren. Für die Laternen war übrigens Steuer zu entrichten.
Ulrich Metzner, ein deutscher Journalist, hat für dieses Buch zusammengetragen, was die Mitglieder der 1987 gegründeten „Europäischen Nachtwächter- und Türmerzunft“ und der seit 2004 bestehenden „Deutschen Gilde der Nachtwächter, Türmer und Figuren“ zu erzählen wissen. Das reicht von Nachtwächterrufen bis zu historischen Fakten, von Anekdoten bis zu kultur-touristischen Hinweisen. Wenn man drin liest, kommt es einem vor, als ob man für diese Kulturgeschichte der nächtlichen Aufpasserei einen Karteizettelkasten durchblättert. Oft tragen Tourismusverbände die Nachtwächter-Initiativen, entsprechend professionell ist das reichhaltige Bildmaterial zu dem Buch.
Ach ja, wer sind die „Figuren“. Nicht immer sind es ja Nachtwächter oder Türmer, die Touristen durch die finsteren Winkel netter Orte führen. Oft sind es auch Sagengestalten, etwa die Leipziger „Weiße Frau“ (eine Pastorengattin, die sich erhängt hat und seither herumgeistert). Im niederösterreichischen Sandl malt man nicht nur Hinterglasbilder. Josef Mandl zieht dort zwischen Weihnachten und Neujahr mit seiner Theatergruppe durch die Gasthäuser von 21 Umlandgemeinden, auch in Tschechien. Es sind die „Sandler Sagennächte“. Vielleicht keine Sage: Die Tänzerin Lola Montez, eine rechte Femme fatale ihrer Zeit, teilt ihr Bett nicht nur mit dem Bayernkönig Ludwig I., sondern auch mit dem Sohn eines Türmers. Das hat ihrer Karriere in Bayern nicht gut getan.
Übrigens haben nicht alle Nachtwächter dem Autor alles erzählt. Der Musikkenner Horst Reischenböck zum Beispiel hat für sich selbst recherchiert, in wie vielen Opern Nachtwächter vorkommen oder gar tragende Rollen haben. Wagners „Meistersinger“, eh klar. Sieben Werke stehen auf Reischenböcks Opernliste, die chronologisch mit „Hieronymus Knicker“ (Uraufführung 1787) von Karl Ditters von Dittersdorf (1739–1799) beginnt. Meistens singt der Nachtwächter Bass, so in Mendelssohns „Die Heimkehr aus der Fremde“, in Wilhelm Kienzls „Evangelimann“, in Julius Bittners „Der Musikant“, und in Engelbert Humperdincks „Gaudeamus“. Einmal ist er sogar der Tenor - in der 1944 uraufgeführten Oper „Die Hochzeit des Jobs“ von Josef Haas (1879–1960).