Fische, Drachen und Gnome in der Küche
BUCHBESPRECHUNG / UNDINE RADZEVICIUTE / FISCHE UND DRACHEN
03/04/17 „Ist das alles, was Ihnen von Ihrer ersten Liebe in Erinnerung geblieben ist – diese Hose von der Farbe eines Hundefells?“ „Wahrscheinlich“, sagte Oma Amigorena. „Und seine Augen?“ „Augen hatte er auch“, nickte Oma Amigorena zustimmend... Vier eigenwillige Frauen im heutigen Chinatown, ein Pater auf verlorenem Posten im kaiserlichen China - und dazwischen natürlich Fische und Drachen.
Von Christina König
„Fische und Drachen“ heißt der Roman der 1967 in Vilnius geborenen litauischen Autorin Undinė Radzevičiūtė. Die Drachen, das sind die chinesischen Kaiser der Qing-Dynastie, die exotische Maler aus dem Westen an ihren Hof holen, die ihnen turkmenische Kriegspferde zeichnen. Und die Fische als Christussymbol stehen für die armen Jesuiten, die diesem Ruf folgen und doch tatsächlich annehmen, sie könnten die chinesischen Kaiser zum katholischen Glauben bekehren. Insbesondere stehen die Fische für Pater Castiglione, der zur Zeit des vierten, fünften und sechsten Kaisers der Qing-Dynastie, genauer von 1715 bis 1766, in China lebt und der sich, während er Chrysanthemen und Lotusblüten auf Porzellangeschirr zeichnet, ständig von seinem Kollegen Pater Ripa sagen lassen muss, dass sie Krieger seien. Dabei ist er nur ein armer Kerl, der die Kaiser, die er doch bekehren soll, kaum einmal zu Gesicht bekommt und sich noch dazu in eine kaiserliche Gemahlin verliebt.
Diese Geschichte über die Fische und Drachen schreibt Schascha, eine junge Frau, die aus dem Doktoratsstudium geflogen ist und nun bei ihrer Familie zuhause lebt. Drei Frauengenerationen teilen sich eine Altstadtwohnung in Chinatown: erstens, Oma Amigorena, die immer inkorrekt auf Spanisch flucht, raucht wie ein Schlot und sich fragt, wie sie mit all diesen Idioten um sich herum leben soll („Die Idioten antworteten nicht“); zweitens Mama Nora, eine Autorin erotischer Kriminalromane, die sich einen Fotografen-Freund anlacht, der allen suspekt ist; und drittens Schwester Miki, die davon überzeugt ist, dass freitagnachts Mafia-Veranstaltungen unter ihrem Bett stattfinden.
Radzevičiūtė erzählt diese beiden Geschichten parallel, die Handlungsstränge „Fische“ und „Drachen“ werden in unterschiedlichen Schriftarten voneinander abgehoben: Beschreibungen von Schaschas Familienleben wechseln sich ab mit der Erzählung über Pater Castiglione, die Schascha selbst verfasst.
Der Stil ist auf beiden Handlungsebenen sehr eigenwillig: Sätze werden in viele kurze, elliptische Sprach-Elemente aufgeteilt, fast jeder Satz steht in einer eigenen Zeile, es gibt zahlreiche Wiederholungen und Einschübe – und jede Menge Ironie. Insbesondere bei Schaschas Familiengeschichte. Worum es dabei eigentlich geht, ist schwer zu sagen, denn Radzevičiūtė verzichtet großteils auf traditionelle Handlung. Stattdessen bekommt der Leser schlagfertige und wahnsinnig komische Wortgefechte zwischen den vier Mitbewohnerinnen präsentiert, die sich über alles streiten: über Gnome in der Küche, über Mikis Idee, erotische Englischstunden anzubieten, über Oma Amigorenas ständiges Briefeschreiben an die Polizei, weil sie sich ungerecht behandelt fühlt …
Undine Radzevičiūtė bietet hier Absurdität auf höchstem Niveau, das sich insbesondere in der wohl am großartigsten gelungenen Figur der Oma Amigorena zeigt – Oma Amigorena, die Milchbreie und wirre Monologe hasst, Miki nur darum Geld gibt, damit diese sich ihr verpflichtet fühlt, und sie um drei Uhr nachts aufweckt, damit sie ihr von Robinson Crusoe erzählt. Aber auch die chinesische Geschichte mit Pater Castigliones sinnlosen Versuchen, den Kaiser zum Katholizismus zu bekehren, bietet genug Komik: So erfreut sich der Kaiser an einem Tier, das er Kameleopard nennt, das aber bestimmt heimlich ein Einhorn ist und das der Araber, von dem er es hat, als Giraffe oder so bezeichnet wird...
Komik und Absurdität ziehen sich durch den gesamten Roman – und doch schwingt beim Lesen immer unterschwellig die Vermutung mit, die Komödie würde sich zur Tragödie wandeln. Was sie dann auch tut. Ganz am Ende. Und zwar in beiden Geschichten.