Patchwork-Familien-(Un-)Glück
BUCHBESPRECHUNG / HELFER / SCHAU MICH AN, WENN ICH MIT DIR REDE!
12/04/17 „Die Mutter könnte Sonja heißen. Ein dunkler Name,wie ich finde. Sie war blond, echt blond, und sie wüsste viele Blondinenwitze. Sie fühlte sich inwendig hohl...“ - Menschen, die in komplizierten Familiengefügen ihren Platz verlieren und auf der Suche nach einer Identität sind – sie sind die Protagonisten im neuen Roman von Monika Helfer „Schau mich an, wenn ich mit dir rede!“
Von Verena Resch
Man begegnet ihnen im Alltag immer wieder – den gelingenden Patchwork-Familien, die ihre situationsbedingt besonderen Herausforderungen meistern. Die Protagonisten von Monika Helfers aktuellem Roman gehören jedoch nicht dazu, auch wenn für Außenstehende oberflächlich betrachtet zumindest dann und wann dieser Eindruck entstehen könnte.
Monika Helfer zeigt in „Schau mich an, wenn ich mit dir rede!“ wie es sein kann: Ein Ich-Erzähler – oder eine Erzählerin? – sitzt in der U-Bahn gegenüber einer Mutter mit ihrem Kind. Die Mutter, sie könnte Sonja heißen, fragt ihre Tochter, die Vev genannt wird, über die neue Familie aus: Wie heißt die „neue liebe, liebe Mama“ mit dem blöden Namen nochmal? Wird der „liebe, liebe Vater“ immer noch geliebt? Und liebt er die Tochter denn überhaupt noch, wo es ja jetzt zwei Halbschwestern gibt? Und sofort wird für den Leser klar, dass hier nichts wirklich in Ordnung ist.
Sonja versucht mit Drogen über die Scheidung von Milan hinwegzukommen und wohnt mal in betreuten Wohneinrichtungen, mal in WGs. Doch dann kommt Eric, von allen nur „The Dude“ genannt. Sein Name ist Programm: Er nimmt nun ihrer beider Leben in die Hand. Für ‚Gefälligkeiten‘ bekommt er eine mietfreie Wohnung, die groß genug ist, um auch noch die Stieffamilie unterbringen zu können. Er gibt Sonja Geld, mit dem sie sich „gute Kleider“ kaufen soll. Sonja scheint zwar mit seiner Hilfe ihr Leben in den Griff zu bekommen, hat allerdings, weil ihr alles abgenommen wird, keine richtigen Aufgaben mehr und versinkt im Nichtstun.
Auch Milan hat es nie wirklich verkraftet, von seiner Ex-Frau verlassen worden zu sein. Charakterlich erscheint er profillos, er ist kein Mann der Taten und keiner für große Entscheidungen. Er wirkt lethargisch und lässt sein Leben eher über sich ergehen, als dass er tatsächlich etwas daraus machen würde. Gemeinsam mit Vev lebt er bei Nati und ihren zwei Töchtern Maja und Fritzi. Im Familiengefüge hat er eine passive Rolle und sicher ist nur, dass er außer Fritzi niemanden wirklich leiden kann.
Fehl am Platz erscheint auch Nati, die zwar in ihrem Beruf als Krankenschwester geschätzt wird und für die Männer den Traum der sexy Krankenschwester verkörpert, sich aber in Gedanken unter dem Titel Nati und die Welt in Form einer Fernsehserie einen alternativen Lebensentwurf erträumt.
Ganz unpathetisch ohne Gefühlsduselei, dabei aber keinesfalls gefühllos erzählt Monika Helfer an einem Beispiel, wie Patchwork aussehen kann und versucht zu ergründen, wie Sonja, Milan und die anderen zu denen werden konnten, die sie sind. Am Ende gibt es keine Katastrophe oder einen anderen gröberen Einschnitt – womöglich war bereits die Scheidung die Katastrophe? – und das Leben der Familie läuft in seinen gewohnten Bahnen weiter. Als Leser bleibt man mit einem Gefühl der Beklemmung zurück und es schleicht sich der Gedanke ein, dass der Titel ein Hilferuf jeder einzelnen Figur sein könnte: „Schau mich an!“