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Muss ein Fürst ein Schlächter sein?

MATTSEER DIABELLI SOMMER / HARISLIZ

24/06/13 „War ich feige, als ich nicht mehr schlachten wollte?“ Er wollte nicht länger über Leichen gehen – und ist zur Strafe für seine „Untreue“ von Vetter Karl dem Großen ins Kloster verbannt worden. Im Kreise der „Brüder“ denkt Tassilo zurück an seine Frau, seinen Kaiser, sein Leben.

Von Heidemarie Klabacher

411Herzog Tassilo III. – genau, der mit Kremsmünster und Tassilokelch – hat unter anderen auch das Kloster Mattsee gegründet. Herbert Grassl hat im Auftrag des Mattseer Diabelli Sommers auf das Libretto des Mattsee-Intendanten Gottfried Franz Kasparek eine Tassilo-Oper geschrieben.  Die Uraufführung von „Harisliz. Die Fahnenflucht Tassilos“ am Freitag (21.6.) in der Stiftskirche war für sich schon ein packendes Opernerlebnis. Sinnfällig ergänzt und verstärkt wurde der frühmittelalterliche Stoff durch einen alttestamentlichen, mit Benjamin Brittens geistlicher Parabel „Die Jünglinge im Feuerofen“.

Loyalität - sei es gegenüber einem irdischen oder einem himmlischen Herrn - ist das Thema in beiden Werken, die in der Inszenierung von Stephen Medcalf verschmolzen, wie die beiden Seiten einer Medaille. Viel zur Atmosphäre beigetragen haben die stilisierten Kostüme von Iris Jedamski.

408„Harisliz“ - ein althochdeutsches Wort für Hehres- oder Fahnenflucht - wurde von den Salzburger Orchester Solisten, angeführt von Konzertmeister Frank Stadler, unter der Leitung von Kai Röhrig uraufgeführt: Mit größter Transparenz und größter Intensität spannten sie die klangsinnlichen und zugleich klaren musikalischen Linien, entfalteten sie die atmosphärisch dichten schwebenden Stimmungen der Partitur von Herbert Grassl.

Der Librettist Gottfried Franz Kasparek hat kein „Historiendrama“ geschrieben, sondern ein stilistisch elegantes klares Kammerspiel für vier Personen (Tassilo, Ehefrau Liutberga, Karl der Große, Herold), in dem die Charaktere rasch Kontur gewinnen: „Agnus Dei…“ singt der Chor der Mönche. „Du nimmst hinweg die Sünden der Welt? Lamm Gottes, erbarmst Du Dich unser? Gibst Du uns Frieden?“ Allein durch die Fragezeichen hinter den bekannten Sätzen gelingt es dem Librettisten, den Suchenden zu charakterisieren. Im Kloster - während einer Messe oder eines Stundengebetes - schweifen Tassilos Gedanken. Seine Frau Liutberga erscheint. Erinnert an frohe Stunden, über die die Bitterkeit siegte.

407Die Gesangssolisten bescherten dem Publikum ein Sängerfest am Mattsee: Der Bassbariton Stephan Loges sang den Tassilo in „Harisliz“ (und danach den wunderbar intriganten Hofastrologen im Britten-Einakter). Technisch souverän gab Loges mit seiner reich timbrierten Stimme dem äußerlich so ruhigen Tassilo Spannung und Tiefe.

Die Altistin Bernadette Furch war Liutberga, die Ehefrau Tassilos: Berührend war ihre knappe und doch so anschauliche Schilderung vom vergangenen Jagdvergnügen „im Norden der festen Stadt Salzburg“, beklemmend ihre Vorwürfe an den Gatten: „Die Zeit roch nach Blut und Streit, … doch du tatest nichts.“ Große souveräne Gesangslinien machten in der persönlichen Lebensgeschichte „Geschichte“ lebendig. Bernhard Landauer als „Karl der Große, König der Franken“ war sängerisch und darstellerisch eine Klasse für sich. Der Countertenor gab einen bizarren Machtmenschen an der Grenze der geistigen Gesundheit: Die klare Ansage „Die Macht ist mein“ wird in der rasend schnellen Wiederholung zum Gefasel eines Irren. Das wiederholt sich eine Dialogpassage später mit „Der Sieg ist mein.“

406Ein Herold, der seiner Berufsbezeichnung alle Ehre machte, war der amerikanische Tenor John Bellemer, der im Britten-Einakter zum Glück noch den König Nebukadnezar gesungen hat: So konnte man mehr von dieser ebenso kräftigen, wie facettenreichen Stimme hören. Als Herold war soldatisch korrektes Auftreten verlangt. Als König von Babylon zeigte auch dieser Darsteller die mit spielerischer Leichtigkeit eingesetzte Fähigkeit, mit minimalen Mitteln eine facettenreiche Persönlichkeit zu zeichnen.

„Harisliz. Die Fahnenflucht Tassilos“ und „The Burning Fiery Furnace“ ergaben also nicht nur musikalisch-sängerisch ein eindrucksvolles Kirchenopern-Erlebnis mit anregender zeitgenössischer und klassisch-moderner Musik. Der Abend in der Stiftskirche Mattsee bot auch szenisch große Oper mit spannenden Geschichten von geradezu archetypischer Zeitlosigkeit, verwirklicht mit dem Stilmittel der größten Reduktion.

409Grassls „Harisliz“ und Brittens „Burning Fiery Furnace“ wurden vom englischen Regisseur Stephen Medcalf geradlinig und schnörkellos, zugleich anschaulich sinnlich inszeniert. Im Altarraum der Stiftskirche Mattsee entwickelte die Szene zusammen mit der bis in die Mimik hinein präzise durchstrukturierten Darstellung den Sog eines Rituals.

Dass dabei Anspielungen auf konkrete liturgische Abläufe nicht überstrapaziert, sondern mit leichter Hand zitiert wurden (Mönche sitzen halt mal im Chorgestühl, und wenn schon ein so schönes vorhanden ist, wird man es nutzen) war ein zusätzlicher Kniff zur Abstraktion.

410Mit erhobenen Kreuzen lässt sich eindrucksvoll Macht demonstrieren. Und mit einem am langen Arm verkehrt gehaltenen Kreuz wird jeder Mönch rasch zum Soldaten mit dem Schwert in der Hand…

Von einer anderen Loyalität, als der gegenüber einem weltlichen Herrscher, erzählt die alttestamentliche Geschichte von den drei jungen Juden, die vom babylonischen König zunächst mit Ämtern geködert, vergeblich zur Götzen-Verehrung gezwungen und schließlich in den glühenden Feuerofen gesperrt werden: Sie wurden gesungen von Robert Davidson, Max Kiener und Martin Summer. Den Herold bei Britten sang Oddur Jónsson. Glanzlichter setzte der Knabensopran. Die geistliche Parabel „The Burning Fiery Furnace“ op. 77 von Benjamin Britten ist ein Spiel im Spiel: Abt und Mönche spielen dem Publikum das Mysterium der Rettung der Jünglinge aus dem glühenden Feuerofen vor - was Raum gibt für viele rituelle „Umkleidungen“, die von Regisseur Stephen Medcalf  mit der Präzision und Eleganz einer Papst-Inthronisation in Szene gesetzt worden sind.

Am Freitag (28.6.) beim Diabellisommer "Das besondere Trio" (Ariane Haering, Klavier, Benjamin Schmid, Violine, Clemens Hagen, Violoncello) mit Werken von Beethoven, Brahms und Artvo Pärt - www.diabellisommer.at
Bilder: Diabelli Sommer Mattsee/Matthäus Maislinger

 

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