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Tollkühn?

RADSTADT / PAUL HOFHAIMER TAGE / VERDI-REQUIEM

30/05/11 Ob sie mit Verdis Requiem nicht den Bogen des Möglichen, des „auf dem Salzburger Land“ Möglichen, überspannen? Das könnte man sich angesichts des wieder erstaunlich vielseitigen Programms des „Festivals für Alte Musik & Neue Töne“ in Radstadt sehr wohl fragen.

Von Jürg Stenzl

Überheben sich da nicht ein regionaler „Hofhaimer Projektchor“ und ein frei zusammengestelltes „Hofhaimer Orchester“ mit geringer Streicherbesetzung an den gewichtigen Problemen des Zusammenspiels und der Balance dieses außerordentlichen Werks, zudem in der akustisch schwierigen Produktionshalle der Firma K-tec?

Die Antwort ist eindeutig: Man muss hoch, vielleicht wirklich etwas zu hoch hinaus wollen, um nach einer Aufführung - wie der jener von Mendelssohns Elias 2005 - weiter zu kommen. Zudem sollte man bedenken, was für alle Beteiligten die Erarbeitung gerade eines solchen Werks bedeutet: CDs einwerfen kann jeder. Die Realisierung eines bedeutenden Kunstwerks beinhaltet jedoch für jeden Einzelnen viel Anstrengung, und gleichzeitig erweitert diese Mühe den geistigen wie sinnlichen Horizont enorm. Dass dies das zentrale Anliegen einer jeden ernsthaften Kulturpolitik in den Städten und ganz besonders in den ländlichen Regionen zu sein hat, ist keineswegs selbstverständlich, war es wohl kaum je. Um die Ergebnisse solcher Anstrengungen bei den Aufführungen hautnah zu erleben, lohnt sich seit Jahren jede Reise in die Geburtstadt des überragenden Organisten von Kaiser Maximilian I. (vor 500 Jahren).

Das macht freilich die Beurteilung dieser Aufführung von Verdis Requiem keineswegs einfacher. Zuerst muss man einfach staunend feststellen, dass eine sehr eindrückliche, eine mit hörbarem Engagement erarbeitete Aufführung zu hören war, eine Aufführung, die es schwer verständlich macht, wieso dieses Werk im deutschen Sprachgebiet weiterhin noch immer so unterschätzt wird. Einst urteilte der Wiener Kritiker Eduard Hanslick: „Ein Werk der freien Kunst, welches das Recht seiner Existenz in sich selbst, in seiner künstlerischen Größe und Schönheit trägt, nicht in seiner kirchlichen Zweckmäßigkeit.“

In Radstadt stand außer Frage, dass Giuseppe Verdis Intentionen verstanden und in bestmöglicher Weise realisiert worden sind. Bernhard Schneider hat sich immer wieder als hervorragender Chorerzieher ausgezeichnet. Auch dieses Mal darf man ihm und seinen gut fünfzig Singenden eine erstaunlich saubere Intonation und rhythmischen Genauigkeit attestieren, selbst wenn die Damen die Herren zahlenmäßig deutlich übertrafen; ein Sonderlob den wackeren Tenören.

Jeder Dirigent dieses Requiems hat Balanceprobleme innerhalb des Orchesters, zwischen Streichern und Bläsern ohnehin, aber auch innerhalb der Bläser (je vier Fagotte, Hörner und Trompeten und drei Poaunen). Das betrifft nicht so sehr das hochdramatische, mehrmals wieder aufgenommene Dies irae, sondern die sehr häufig ausgesprochen kammermusikalische Faktur dieser Partitur.

Der Komponist Luigi Nono wurde in seinen letzten Lebensjahren nicht müde, darauf  hinzuweisen, dass Verdis späte Partituren nicht nur peinlich genau notiert seien, sondern dass es dort eine Überfülle von piano, pianissimo, pianopianissimo, gar pppp plus diminuendo-Vorschriften gibt. So ist denn auch bei fast allen Verdi-Requiem-Aufführungen das dynamische Spektrum, besonders im leisen Bereich, viel zu eng, vor allem in den drei letzten Sätzen Agnus Die, Lux aeterna und Libera me. Auch in Radstadt war das Orchester fast immer zu laut, dabei hatte der Chor etwa im eröffnenden Requiem aeternam gezeigt, welche Wirkung die extrem leisen, flehenden Passagen erzeugen. Und die abschließenden libera me-Rufe müssen morendo verklingen, auch der lange Tutti-Schlussakkord mit Fermate. Das müsste sich jedoch bei der Zweitaufführung am 18. Juni in Ried im Innkreis  noch erreichen lassen. Das Solistenquartett, Antonia Gust, Sopran (ihr einziges hohes C war besonders beeindruckend, die hohen B’s sind jedoch besonders heikel), die wunderbar zurückhaltenden Altistin Eva Leiter, der Tenor Taylan Mernioglu und der Bass Thomas Mayr überzeugte in den solistischen wie in den Ensemblesätzen.

Giuseppe Verdi hat bei der Komposition seines Requiems keinerlei Rücksichten auf „Amateure“ genommen und sich auf Spitzeninterpreten verlassen. Aber auch solchen bleibt, wie gesagt, die volle Einlösung dessen, was diese Partitur fordert, zumeist versagt. Um so mehr Anerkennung verdienen alle in Radstadt für das, was sie im Rahmen des durchaus tollkühnen Unternehmens „Verdi-Requiem“ erreicht haben.

 

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