Was dem Leben Sinn gibt
IM PORTRÄT / IVETTE LÖCKER
12/09/24 „Filmemacherin sein: Das war in meiner Kindheit, im Lungau der 1970er und 1980er Jahre, außerhalb meines Horizonts“, sagt Ivette Löcker. Im Rahmen der vielen Aktivitäten der das 50-Jahre-Jubiläum feiernden Lungauer Kulturvereinigung ist die aus dem Lungau stammende Filmemacherin für eine Woche wieder in ihrer Heimat.
„Ich hatte keine Vorbilder für eine Tätigkeit, die mir nicht in die Wiege meiner sozialen Herkunft gelegt wurde“, sagt Ivette Löcker, die bereits zwei Mal den Großen Preis der Diagonle für den besten Österreichischen Dokumentarfilm gewonnen hat. „Lange dauerte es, mir selbst diese künstlerische Arbeit zuzugestehen. Es war eine Entdeckungsreise, die mich über viele Stationen führte.“ Ivette Löcker lebt jetzt in Berlin.
Die Filmemacherin erinnert sich an ihre Jugend: „Am Anfang standen Jazzkonzerte, veranstaltet von der Lungauer Kulturvereinigung, die ich mit Schulfreundinnen und -freunden, und oft mit meinem Vater, besuchte. Sie öffneten die erste Tür zu einer künstlerischen Lebensweise.“ Eine zweite Tür, jene zur Literatur, habe sich ihr im Deutschunterricht am Gymnasium geöffnet. Und schließlich eine dritte, „die Dunkelkammer, in der wir im Kunstunterricht Fotos entwickeln konnten“.
Ivette Löcker entschied sich erst für ein philologisches Studium in Wien. „Die russische Sprache hatte es mir mit ihrem Wohlklang und ihrer reichen Literatur angetan. Die politische Öffnung in den Jahren der Perestroika ermöglichte es mir, Menschen in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion kennenzulernen, die offen mit den Brüchen in ihren Leben umgingen. Mit ihnen erfuhr ich, was es bedeutet, sich neu erfinden zu müssen, Orientierung und Halt zu suchen.“
Am Baikalsee in Sibirien wagte Ivette Löcker ihre ersten filmischen Schritte. Sie porträtierte ein Paar, das auf einem Lastkahn arbeitet. „Marina und Sascha waren mir, trotz aller Ferne, durch ihre einfache Lebensweise vertraut. Sie hatten ihren Freiraum gefunden, so zu leben, wie sie wollten. Darin ähneln sie den Menschen, die ich in Berliner Winternächten begleitet habe. Ebenso wie Anja und Serjoscha, die unangepassten Teenager aus dem ukrainischen Mariupol, in ihrer Angst vor einer ungewissen Zukunft.“
Die Dokumentation Marina und Sascha aus dem Jahr 2008 ist bei der Personale in Tamsweg und St. Michael ebenso zu sehen wie die bei der Diagonale in Graz prämiierten Dokumentationen Nachtschichten (2010) und Was uns bindet (2017). „Was ist Liebe? Wo finden wir Halt, wo Freiräume? Was verbindet uns? Diese Fragen treiben mich in all meinen Filmen um. Wie in einer Spiralbewegung haben sie mich zurück in meine Kindheit und zu meinen Eltern geführt.“ Was uns bindet sei der Versuch gewesen, „den Widersprüchlichkeiten, die das Teilen eines Lebens hervorbringt, auf den Grund zu gehen, sie auszuhalten und nicht zu bewerten.“ Wenn ich dabei etwas gelernt habe, dann dies: Es braucht viel Humor und die Offenheit, sich selbst in Frage zu stellen.
In der Künstlerei Tamsweg wird Ivette Löcker auch einen eintägigen Film-Workshop leiten. Dazu sagt sie: „Mich interessiert, was junge Menschen im Lungau heute über die Liebe denken. Was macht sie stark? Womit sind sie solidarisch? Wie sehen sie ihre Zukunft? Ich möchte mit ihnen in einen Dialog kommen und mich von ihnen und ihren Ansichten berühren lassen. Ich möchte in einem Workshop etwas von dem, was ich mir erarbeitet habe, weitergeben. Vielleicht entsteht in der gemeinsamen Auseinandersetzung etwas Neues. Ich wünsche mir neue Bilder davon, was dem Leben Sinn gibt.“ (LKV/dpk-krie)