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Nachruf auf einen Verschollenen

TODESFALL / BODO HELL

10/08/24 „Bittel Knittel Hüttel.“ Das Holzschild neben einem Holzhaufen sollte Wanderer dazu animieren, doch ein paar Stück Brennholz mitzunehmen ins „Hüttel“ von Bodo Hell, Literat und sommersüber Senn auf der Grafenbergalm am Dachstein. – An diesem Ort, den er seit über 45 Jahren so sehr liebte, ist Bodo Hell seit über einem Monat verschollen. Dass der 81jährige noch lebend gefunden wird, ist so gut wie ausgeschlossen.

Gestern Montag (9.9.) hat der Verlag Droschl Bodo Hell in einem Nachruf offiziell als "verschollen" bezeichnet. – Erinnerung an einen Besuch vor gut zwanzig Jahren auf der Grafenbergalm auf 1.780m Seehöhe: Der Laptop stand aufgeklappt neben den Behältnissen, in denen der Senn Bodo Hell gerade Ziegenkäse machte. Aber der Haus-, pardon Hüttel-Herr hat damals sehr bestimmt festgestellt: Die Schriftstellerei und die Sennerei, das seien zwei ganz unterschiedliche Berufe, das eine sei nicht Erholung vom anderen. Kann es auch gar nicht sein, denn es ist nicht unanstrengend, Hirte von rund hundert Kühen, Pferden und Ziegen zu sein. „Also bitte nicht das Klischee verbreiten, dass man da sitzt und ein großes Werk schreibt“, sagte Bodo Hell damals eindringlich. „Almzeit ist nicht Regeneration, sondern körperliche Forderung: Du arbeitest den ganzen Tag.“

„Das Alm-Tagebuch ist alles, was sich abspielt“, erklärte Bodo Hell seinerzeit den Besuchern. Immerhin entsprach die Almregion, auf der er die Tiere zusammenhalten musste, der Fläche der Stadt Paris. Gut tausend Kilometer, so erklärte er, lege er in einer Almsaison zurück. „Am Stein“, das ist eine ultra-karge Region. Und die Distanzen für den Viehhirten mehr als fordernd. Das machte die Suche nach ihm in den vergangenen Wochen doppelt schwer. Man durchkämmte sogar ein Gebiet sechs Gehstunden entfernt von besagtem „Hüttel“ auf der Grafenbergalm. Eine unwegsame Hochfläche voller Dolinen, über- und durchwachsen von Latschenfeldern.

Die Hauptarbeit sei „Gehen und Suchen“, formulierte Bodo Hell – und damit lieferte er auch gleich ein Leitmotiv, das ganz wunderbar auf sein schriftstellerisches Werk passt. „Das in unserer Gesellschaft auffindbare Zeichenmaterial, mit dem wir uns in unseren Lebensräumen zu orientieren trachten und auf diese Weise spezifische zivilisatorische Strukturen schaffen, arrangiert Bodo Hell in seinen Texten zu kunstvollen literarischen Gebilden, mit denen er unseren sozialen Organisationsformen einen erhellenden, stets auf lustvolle Weise unser Bewusstsein schärfenden Spiegel vorhält und gleichzeitig neue, oft überraschende Bedeutungskomplexe generiert.“ Das schrieb die Jury, als ihm 2019 der Große Kunstpreis des Landes Salzburg zugesprochen wurde. Gesellschaftliche Benennungs- und Ordnungssysteme aller Art im urbanen und im ländlichen Raum seien „der Fundus für seine Arbeit, wobei nicht nur Elemente der modernen Lebenswelt, sondern etwa auch die traditionsgeleiteten Erklärungsmuster für Phänomene der von uns zu bewältigenden Natur zum Gegenstand – und gleichzeitig zum Spielmaterial – für seine Arbeit werden“.

Banaler gesagt: Bodo Hell durchstreifte mit wachem Geist die Kultur- und Brauch-Landschaft (die Religion war ihm dabei ein wesentlicher Wegweiser). Genaue Beobachtungsgabe, ein brillantes Gedächtnis und die Fähigkeit zu kreativer Verknüpfung zeichneten sein Schreiben aus. Bodo Hell selbst beschrieb sich als einen „faktenorientierten“ Autor.

So eröffnen sich den Lesern seiner Bücher lange Assoziationsketten. Beim Lesen könnte man manchmal schon deutlich mehr außer Atem kommen, als der dichtende Viehhirte bei seinen langen Wanderungen. Er schlugt gar wundersame Haken und schuf damit unerwartete Querverbindungen. Seine Dichtkunst war eine, bei der einzelne Fäden zu einen Patchwork zusammengewoben wurden. Die Muster waren oft nicht vorhersehbar.

Bodo Hell ist 1943 in Salzburg geboren worden. Er studierte am Mozarteum Orgel und in Wien an der Akademie für Musik und Darstellende Kunst Film und Fernsehen, sowie Philosophie, Germanistik und Geschichte. 1972, also vor 52 Jahren, war er der erste Träger des Rauriser Literaturpreises, es folgten Ehrungen unter anderem mit dem Erich-Fried-Preis (1991), dem Christine-Lavant-Preis (2017), dem Großen Kunstpreis des Landes (2019) und zuletzt dem Literaturpreis des Landes Steiermark (2024). Auch vom Bachmann-Wettbewerb ist Bodo Hell 2006 mit einem Preis heimgekommen.

Werke von bodo Hell im Verlag Droschl
Bilder: dpk-krie

 

 

 

 

 

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