Der anonyme Fotograf trägt Hut
SALZBURG MUSEUM / FOTOHOF / UNBEKANNT
12/12/24 Es schaut aus, als hätte jemand die Gesichter absichtlich verpixelt, damit die Leute, die da wohl zufällig vor einer Werbung für Hochprozentiges stehen, nicht entlarvt würden. Blödsinn natürlich: Die unscharfen Gesichter sind den langen Belichtungszeiten aus der Ära der Glasplatten-Fotografie geschuldet.
Von Reinhard Kriechbaum
Die langen Belichtungszeiten! Die waren auch der Grund für ein Foto, das nun – vergrößert auf mehrere Meter Breite – den Eyecatcher hergibt in der Galerie Fotohof: eine lebhafte Szene auf einem Rodelhügel der Stadt. Die hurtig talwärts sausenden Kinder sind mehr oder weniger schemenhaft zu sehen, die unten Angekommenen aber gestochen scharf, so wie die Bäume im Hintergrund. Noch ein nettes Detail: In den archaischen Kamerakasten muss wohl von oben Licht eingedrungen sein, so dass der Hintergrund am oberen Bildrand überbelichtet-nebulos bleibt. Eine solche Zentriertheit aufs Hauptmotiv brauchte heutzutage eine App...
Unbekannt – Anonyme Blicke auf Salzburg heißt die Schau, mit der das derzeit geschlossene Salzburg Museum zum vierten Mal ein „Gastspiel“ gibt. Sinnvollerweise im Fotohof. Man kann aus dem Vollen schöpfen. 160.000 Fotos verwahrt das Salzburg Museum, immerhin 40.000 sind nach modernen Kriterien inventarisiert. Eine unerschöpfliche Materialsammlung, die man natürlich nur nach bestimmten Kriterien sinnvoll durchforsten kann. Für diese Ausstellung ging es den Kuratoren Nadine Weixler und Peter Schreiner um das Spannungsfeld zwischen der (für uns spekulativen) ursprünglichen Absicht der Lichtbildner und dem, was man aus den Fotos heute heraus liest oder hinein interpretiert.
Ein Schnee-Foto aus dem Weichbild der Stadt, irgendwo in Schallmoos. Eine Mutter führt ihr Kind an der Hand, rechts am unteren Bildrand der Schatten des Fotografen. Mit Hut am Kopf und im Mantel hantiert er an der Kamera. Ein völlig unspektakuläres Motiv mit genialem Bildaufbau. Oder jener Straßenzug im Bahnhofsviertel, zwischen Bahn-Trasse und (heutiger) Buchhandlung Motzko. Kennt jeder Salzburger, aber keiner käme auf die Idee, das abzulichten. Der Fotograf in den Jahren des Ersten Weltkrieg hat abgedrückt, weil über die Straße ein Transparent gespannt ist. Man wirbt für eine Kriegsanleihe. Sozialhistorische und topografische Dokumentation fließen ineinander.
Oft verschwimmt auch die Grenze zwischen Dokumentar- und Kunstfotografie. Zwei Menschen als leicht unscharfe Silhouetten im Eingang eines Fotogeschäfts, von innen nach außen fotografiert, auf den lichtüberfluteten Residenzplatz. Oder ein Fotogeschäft als Motiv, ein Mann scheint dem Fotografen ins Bild gerannt zu sein. Da habt wohl der Bild-Schöpfer nach dem Entwickeln der Glasplatte selbst gestaunt, wie der Zufall mitgespielt hat. Hatte der Fotograf, der Möwen in den Lüften festgehalten hat, vogelkundliches Interesse? Wir wissen das eben so wenig wie wir den Namen des Autors kennen. Aber wir sehen, dass es damals, Jahrzehnte vor Errichtung des Fernheizkraftwerks neben der Eisenbahnbrücke über die Salzach, schon einen auffälligen Kamin gab.
Einprägsam auch ein Bild, auf dem ein Schlittenfahren gut einen Meter über der Erde zu schweben scheint. Wie mag das funktioniert haben vor Erfindung der elektronischen Bildbearbeitung? Der Fotograf hat wohl den Hügel rechts absichtlich weggeschnitten, um den Betrachter zu verblüffen.
Eine schöne Geschichte weiß Martin Hochleitner, Direktor des Salzburg Museums, zu erzählen: Vinzenz Maria Süß, der das Museum 1833 gründete, hatte das Potential der Fotografie erkannt. Er stand im Austausch mit Adalbert Stifter. Der Dichter meinte in einem Brief, dass das Foto-Sammeln auch für seine oberösterreichische Heimat eine gute Option wäre.
Die Ausstellung im Fotohof zeigt viele Vergrößerungen. Die Originalabzüge sind ja winzig, denn das Material war teuer. Eine illustre Auswahl dieser Miniaturen ist – unter geboten sparsamer Beleuchtung – im Fotohof-Studio zu sehen. Da möchte man schon nach einer Lupe greifen.
Es wird nicht bei der Ausstellung bleiben, denn der Fotohof hat auch mit vierzig Fotografinnen und Fotografen der Jetztzeit zusammengearbeitet. Sie haben sich künstlerische Weiterentwicklungen zu den alten Fotos ausgedacht. Dieses Buch wird am 30. Jänner, also zum Ende der Ausstellung präsentiert.