Ein Lügengebäude kracht zusammen
SCHAUSPIELHAUS / GESPENSTER
19/11/12 Frau Alving hüpft vor ihrem Sohn auf und ab, um ihm zu demonstrieren, dass es auch im verregneten und vernebelten Norwegen möglich sei, fröhlich zu sein. Aber die Triebfeder für ihr Gehabe ist nicht Fröhlichkeit, sondern Verzweiflung. Das dreiaktige Familiendrama „Gespenster“ von Henrik Ibsen - eine rundum gelungene Premiere im Salzburger Schauspielhaus.
Von Werner Thuswaldner
Nichts stimmt in dieser Familie Alving. Wir haben es mit einem Lügengebäude zu tun, dessen Einsturz wir als Zuschauer des Theaterstücks „Gespenster“ von Henrik Ibsen erleben. Am Sonntag (18.11.) war Premiere im Schauspielhaus. Die zweistündige Tristesse war leicht durchzuhalten, weil Regisseurin Maya Franke und das Ensemble sehr gute Arbeit geleistet haben.
Ja, es ist ein Redestück. Ibsen braucht viel Text, um die vertrackten Beziehungen in dieser Familie darzulegen. Aber er zieht einen sehr rasch in ein Dickicht starker Emotionen hinein, so dass es nie langweilig wird. Die norwegische Trostlosigkeit versuchte Ausstatterin Isabel Graf mit Hilfe getönter, durchscheinender Plastikwände zu verdeutlichen. Um den Raum führt außen herum ein Korridor. Man sieht, wer sich dem Raum nähert, man sieht, was Personen draußen treiben. Dadurch entsteht eine zusätzliche Spannung. Die Nebelmaschinen des Theaters sind den ganzen Abend lang im Einsatz.
Von Anfang an wird klar, dass in den Dialogen etwas ausgespart, dass nicht die Wahrheit gesagt wird. Ibsens Methode besteht darin, nach und nach aufzudecken, was da im Lauf der Jahre unter den Teppich gekehrt worden ist. Frau Alving hat alles getan, damit der Schein gewahrt bleibe. Die Angst davor, was andere über einen sagen könnten, scheint allmächtig zu sein. Daher ist es besser, ihnen was vorzumachen. Im Zuge heftiger Gefühlsturbulenzen kommt an den Tag, was durch tatkräftige Schönfärberei hätte verborgen bleiben sollen:
Die Ehe Frau Alvings mit dem inzwischen verstorbenen Kammerherrn Alving war eine Katastrophe. Nach einem Jahr brach die Frau aus, in der Hoffnung, Pastor Manders werde sie aufnehmen und mit ihr eine gemeinsame Zukunft gestalten. Doch der hielt als eine miserable, ängstliche Figur die lebensfeindlichen Moralvorstellungen seiner Religion hoch.
Kammerherr Alving führte als Weiberheld ein „verruchtes“ Leben innerhalb und außerhalb des Hauses. Mit einer Angestellten zeugte er ein Mädchen, das, mittlerweile erwachsen, als Dienstmädchen bei Frau Alving arbeitet. Um einen Skandal zu vermeiden, wurde damals gesagt, das Kind, Regine, stamme von dem Tischler Engstrand. Der, ein zwielichtig, berechnender Mann mit starker Neigung zum Alkohol, nahm die Vaterrolle gegen Bezahlung an.
Weitere, nicht minder spektakuläre Enthüllungen folgen: Frau Alvig entzog Sohn Osvald dem schlechten Einfluss des Vaters. Osvald, der Maler geworden ist, kehrt in das Haus seiner Mutter zurück und beginnt prompt eine Liebesbeziehung mit Regine, ohne zu wissen, dass es seine Halbschwester ist.
Am Ende kommt es noch dicker: Osvald steht nahe vor seinem Ende. Er weiß, dass er an Hirnerweichung sterben wird, einem genetischen Defekt, den er den Ausschweifungen seines Vaters zu verdanken hat.
Regisseurin Maya Franke deutet von Beginn an durch die Dialogführung an, dass der Schein trügt, dass man sich auf ungewissem Terrain bewegt. Es gelingt ihr, das Publikum zu bannen, einerseits durch wirksame Aktionen, andererseits durch die Kulminierung der unglücklichen Ereignisse.
Am stärksten beeindruckt an diesem Abend Albert Friedl, der anfangs als schwer angeschlagener Osvald wie der nette junge Mann von nebenan erscheint und dann nach und nach einen berührend tragischen Charakter entwickelt. Daniela Enzi macht als Frau Alving während der ganzen Aufführung höchste Anspannung durch. Für sie sind keine entlastenden Momente vorgesehen. Regine, das Dienstmädchen, erlebt Aufstieg und Fall. Katharina Pizzera zeigt, wie sich diese junge Frau zu großen Hoffnungen aufschwingt und wie brutal ihr Absturz ist.
Olaf Salzer ist der selbstgerechte Pastor, der mit seiner Feigheit und seinem Duckmäusertum das Unglück seiner Mitmenschen verschärft.
Den offensichtlichen Störenfried, den Tischler Engstrand, den ungute Motive antreiben, hat Ibsen mit Holzbein ausgestattet. Antony Conner humpelt über die Bühne und macht jeden Moment glaubhaft, dass diesem abgerissenen Charakter nicht zu trauen ist.