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ARGE KULTUR / GARAGE X
16/11/12 Das Publikum morgen (also heute) werde vermutlich eine ganz andere Aufführung erleben, als das Publikum heute (also gestern), sagte der Regisseur. Das kann man ihm nur wünschen, dem Publikum. „Karte und Gebiet“, eine Dramatisierung des Romans von Michel Houellebecq, zum Auftakt des Festivals "Open Mind".
Von Heidemarie Klabacher
Tags zuvor habe man noch Text für sechs Stunden Aufführung gewälzt, sagte Regisseur Ali M. Abdulla zum Publikum. Bei der Vorpremiere von „Karte und Gebiet“ am Donnerstag (15.11.) waren es nur mehr zwei Stunden fünfzig. Trotzdem eine gefühlte Ewigkeit. Nicht in der Hölle erlebt und nicht im Himmel - bloß erduldet im Schattenreich, wo es weder grauslich noch lieblich zugeht, sondern einfach nur langweilig.
Die erst jüngst mit dem Nestroy-Spezialpreis ausgezeichnete Wiener Kult-Truppe Garage X und der Regisseur Ali M. Abdulla haben sich an den Roman „Karte und Gebiet“ (La carte et le territoire) von Michel Houellebecq herangemacht und, wie es scheint, in der Provinz ausprobieren wollen, welchen Grad an Unausgegorenheit einer Produktion man einem Publikum zumuten darf. Premiere und Österreichische Erstaufführung ist ja erst am 21. November in der Garage X in Wien. Bis dahin kann sich noch einiges ändern – auch haben sie noch zwei weitere „Voraufführungen“ vor Publikum in der ARGEkultur.
Zunächst einmal freut man sich, auf der offenen Bühne den desolaten Heizkörper zu sehen. Angeschlagen, wie ein ausgezählter Boxer, hängt er mit kaputtem Rad schief im Raum. Geeicht auf subtile Anspielungen, kapiert die Houellebecq-Verehrerin sofort: Dieses Gerät steht für die desolate Heizung, respektive den kommunikationsfreudigen, knackenden und brummenden, Warmwasserspeicher in Jed Martins „Künstleratelier“. Die Anführungszeichen sind bewusst gesetzt worden: In diesem Dachboden mit den schönen Fenstern sind die dunklen Nebenräume selbst für jemanden wie Jed Martin kaum ausreichend, „obwohl er nur ein begrenztes Hygienebedürfnis hatte“, heißt es im Buch. Links hinten auf der Bühne ist ein Holzverschlag, durch die Öffnungen (und später genauer durch Livecam-Übertragung) sieht man an die Wand gepinnte Zeitungsausschnitte und Manuskriptseiten: Houellebecqs Arbeitszimmer erkennt man sofort.
Man fühlt sich als Leser ernst genommen und harrt erwartungsvoll der Dinge, die leider nicht kommen wollen.
„Karte und Gebiet“ erzählt vom französischen Maler und Fotographen Jed Martin, der, ohne es anzustreben, berühmt und reich wird. Michel Houellebecq karikiert in seinem Roman den Kunstbetrieb, persifliert Kuratoren- und Katalog-Gewäsch, verulkt den dazugehörigen Medien-Rummel. Jed Martins Privatleben existiert nicht. Das Verhältnis zum Vater ist von Sprachlosigkeit geprägt. Die einzige Liebe seines Lebens, Olga, lässt er ziehen. Irgendwann wird Jed Martin als Künstler so berühmt, dass sein Galerist das Vorwort zum neuen Ausstellungskatalog von einem ebenso berühmtem Autor geschrieben haben möchte: von Michel Houellebecq. Als wäre es nicht witzig und anspielungsreich genug, dass der Autor in seinem eigenen Roman als Autor auftritt und ermordet wird, lässt er sich auch noch zerstückeln. Der offensichtlich kunstsinnige Mörder bildet aus den Fleischfetzen einen monochromen Jackson Pollock. Jed Martin, der eine Affinität zu Michel Houellebecq zu entwickeln begonnen hatte, zieht sich hinter dicke Mauern in der totalen Einsamkeit der französischen Pampa zurück – und überlässt es der Natur, sein Spätwerk zu vollenden.
416 Seiten hat der Roman in der deutschen Übersetzung von Uli Wittmann. Für eine „Dramatisierung“ liegt es nahe, sich auf das Verhältnis des Künstlers Jed Martin zu seinem Vorwortschreiber Michel Houellebecq zu konzentrieren. Tatsächlich blitzt in der ersten Begegnung der beiden auf der Bühne in der ARGE etwas von der Intensität des Romans auf: Dennis Cubic ist immerhin ein liebenswürdig verlorener Jed Martin. Alexander Simon überzeugt immer wieder für Augenblicke als ebenso bemittleidens- wie in seiner selbst gewählten Isolation bewundernswerter Michel Houellebecq voll Verbitterung und Ironie. Zwar verkommt auch Alexander Simons Houellebecq schon in der zweiten größeren Szene zur puren Karikatur, dennoch sind ihm die einzigen ernsthaften schauspielerischen Leistungen des Abends zu verdanken. Bei den Darstellern der weiteren Figuren happert es allein schon am Vermögen, den Text sprechtechnischen zu bewältigen.
Auf diesem Level einer Produktion ist es müßig, die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Bühneadaptierungen im Allgemeinen und von „Karte und Gebiet“ im Besonderen auch nur anzusprechen.