Große und kleine Entertainer
FESTIVAL PUPPETS! / JEDERMANN & CO
27/10/24 Ein alter Ratschlag für Schauspieler: Bloß nie mit Kind oder Hund auf die Bühne! Man ist Zweiter in der Publikumsgunst. Wie ist das eigentlich, wenn man sich als Fädenzieher in aktiver Schauspielerrolle einlässt aufs Miteinander mit den Puppets? Streift die Marionette alle Sympathien ein? – Eindrücke vom kleinen, feinen Festival zum 111-Jahre-Jubiläum des Marionettentheaters.
Von Reinhard Kriechbaum
Marcella von Jan braucht keine Sorge zu haben, dass ihr irgendjemand von den vielen Leuten aus dem Jedermann den Rang ablaufen. Am allerwenigsten die lebensgroße Jedermann-Figurine, die an der Stirnseite eines langen Tisches sitzt. Jedermann ist da nicht einer um die „vierzig Jahr“, wie seine Mutter einmal sagt, sondern schon ein älterer Herr mit Glatze. Mid- und Endlifecrisis in einem. Die Schau- und Puppenspielerin steht ihm als Guter Gesell gegenüber. Sie wird im Lauf der anderthalb Stunden alle Rollen sprechen – keine geringe Herausforderung für die Stimm- und Sprechtechnik. Und sie wird ganz verschiedenartige Puppen bedienen. Die nur gut zwei Handspannen kleine Buhlschaft, die schon den Brautschleier ins Haar geflochten hat (zu früh gefreut, junge Dame!) zeigt kess die Beine. Sie hängt ebenso an Fäden wie Dicker und Dünner Vetter, die munter drauflos sächseln (das Theater Altenburg ist in Gera, in Deutschlands Osten beheimatet). Der Arme Nachbar ist reduziert auf einen Kopf in einer Holzkiste, die von der Decke heruntergelassen wird. Und der Tod? Das ist überhaupt nur ein kleiner Kopf. Um ihm „Körper“ zu geben, angelt sich die Spielerin einen Zipfel vom Tischtuch.
Eine Fülle kleiner, pragmatisch wie spontan anmutenden Ideen, immer wieder verblüffend, immer auch mit einem Augenzwinkern. Kein Problem, dass Marcella von Jan als Human-Einzelkämpferin nicht die ganze Tischgesellschaft in Bewegung halten kann. Da hängt sie die Marionetten eben auf Drähte, und die fehlende Personnage kann man sich gut dazudenken. Zwei quasselnde Zinn-Kannen sind ein liebenswert ironisches Apercu.
Wenn schon Allegorie, dann deftig: Die guten Werke in Gestalt eines Vogels auf Rollen, der Glaube als auf die Gräten abgespeckter Fisch... Den Teufel, den delegiert Marcella von Jan freilich nicht an eine Puppe. Diese Rolle lässt sich die charismatische Schauspielerin nicht entgehen. Nach den beiden Aufführungen im Theater im Kunstquartier.
Di Filippo Marionette aus Italien – das sind zwei junge Leute, die sich nicht damit begnügen, ihre Marionetten als Unterhalter auftreten zu lassen. Die beiden, Remo Di Filippo und Rhoda Lopez, sind auch blendende Entertainer. Auch sie führen die Puppen und treten zugleich mit ihnen in Aktion. Das steckt voll liebenswürdigem Slapstick. Diese beiden Künstler sind auf einer Bühne (beim Salzburg-Gastspiel zwei Mal im Toihaus und mit einer weiteren Produktion im Marionettentheater) ebenso daheim wie bei Open-Air-Aufführungen. Straßentheaterleute sind im Notfall aufs Improvisieren eingestellt. Da macht es nichts, wenn der kleine Marionetten-Fahrrad-Artist offenbar einen technischen Defekt hat und es wenig dauert, bis er wieder flottgemacht und zu kunstvollen Sprüngen bereit ist. Eine nette Puppen-Künstlerkolonie ist da beisammen, die man sich „en natura“ auch beim Winterfest gut vorstellen könnte. Niccolo, der brillante Geiger, wirkt anfangs etwas gehemmt vor dem Publikum. Die Spitzen-Ballerina ist dafür so emsig bei der Sache, dass sie gar nicht weg will und erst mit einem sanften Kick in die Kulisse zurückgeschickt wird. Remo Di Filippo geht mit einer Marionette auch durch die Zuschauerreihen – solche Nähe ist überraschend in diesem Genre. Und auch ein Puppen/Menschen-Kabarett-Theater braucht eine Putzfrau. Sie verwarnt den Schauspieler, der zwei Zuckerl-Papierln achtlos weggeworfen hat, recht nachdrücklich mit dem Besen.