Der Engel mit der Posaune
SALZBURGER ADVENTSINGEN / SONST BLIEBE ES EIN TRAUM
30/11/12 Im dürren Geäst wirkt der Engel wie ein gotischer Singvogel im Dornbusch, den zu entzünden die Feuerpolizei leider nicht erlaubt hat. Musikalischen Nachdruck bekommt das weiß gewandete Sopran-Wesen durch einen Herren, der mit Posaune am Fuß des Baumstamms Stellung bezieht.
Von Reinhard Kriechbaum
„Die göttliche Botschaft war deutlich, nicht zu überhören“, befindet der als „Träumer“ aus seinem Tuchent-Bett mitten ins biblische Geschehen gebeamte Irgei ganz richtig. Dass die Adventbotschaft heuer heftigen Nachdruck bekommt, dafür sorgt die Musik. Der musikalische Leiter Herbert Böck und der Komponist Klemens Vereno waren sich im Pressegespräch vor der Premiere absolut einig (und man muss ihnen darin zustimmen), dass das musikalische Niveau der Mitwirkenden beim Salzburger Adventsingen im Großen Festspielhaus hoch wie nie ist. Das legt nahe, sie mit Musik zu „belohnen“ und die Ressourcen auszunützen.
Das szenische Oratorium „Sonst bliebe es ein Traum“ stammt aus den neunziger Jahren, von Tobias Reiser. Da war Klemens Vereno noch angehalten, Liedkantaten und musikalische Tableaus eher im Stil von Wilhelm Keller (seinerseits ein Carl Orff-Epigone) zu schreiben. Das war, im scharfem Schnitt zur Volksmusik, einprägsam. Unterdessen sind alle Solisten Profis, das instrumentale Niveau ist gehoben und auch der Salzburger Volksliedchor hat einige musikalische Potenzschübe bekommen. Also wird für die neuen Möglichkeiten komponiert und ergänzt auf Teufel-komm-raus. Nicht nur also, dass der Engel zum Posaunen-Adjutanten auch eine gehörige Dosis Elektronik-Hall bekommt. Ein schlichter Viergesang wie „Als Maria übers Gebirge ging“ bekommt Fern-Blechbläser drauf gesetzt. Und das geht so weiter bis zum traditionellen Mettenjodler: Sogar das Tjo-tjo-iri des Dreigesang bekommt noch einen kunstvollen Männer-Jodler drüber gestülpt.
Stimmt schon: Man kann stolz drauf sein, dass das alles überhaupt funktioniert. Als Zuhörer wünscht man sich doch gelegentlich eine Machete, um sich durch den wuchernden Tondschungel einen Weg schlagen zu können.
Die Geschichte selbst wird klar und schnörkellos erzählt. Der Bub (Moritz Hruska alterniert mit Felix Grabner) als Träumer folgt Maria (Simone Vierlinger) beim Besuch bei Elisabeth (Ilse Grießenauer) und er beobachtet, wie der vermeinlich sitzen gelassene Josef (Bernhard Teufl) mit seiner Situation hadert. Josef bekommt vom Engel (Magdalena Hinz) klare Anweisungen, wie er mit der nach himmlischer Regie fremd-geschwängerten Braut fromm und demütig umgehen soll. Die paar verirrten Menschen – der Hirt (Rainer Doppler) und sein Gast (Edwin Hochmuth) lassen sich von der Prophetin Hanna (Alexandra Tichy) vorerst nicht wirklich was sagen.
Die Prophetinnenworte kommen Alexandra Tichy glaubhafter über die Lippen als das Dialekt-„Guate Nocht“ als Großmutter des Träumers. Da sticht sie der Bub mit seiner unverfälschten Mundart in zwei Worten aus. Es sind diese Kleinigkeiten, in denen sich die Professionalisierung selbst Fußangeln stellt.
Caroline Richards ist heuer die Regisseurin. Die kleinen Spielzenen sind sauber und mit Sinn fürs jeweilige Gewicht gearbeitet. Zur Musik – also zum überwiegenden Teil – gibt es Standbilder. Dass es die Hirtenkinder im Moment nicht bringen, darf man nicht der Regisseurin anlasten. Viele der „Kinder“ sind unterdessen schon recht hoch aufgeschossen, kleine Charismatiker sind derzeit nicht in Sicht. Man verlegt sich also eher aufs solide Jugend-Musizieren und kann sogar eine eigene Blasmusikkapelle anbieten. Aber die übliche herzerweichende Kernszene eines jedes Adventsingens mit Aberseer und Pasch kommt heuer als lahme Stehpartie rüber. Brav im Halbkreis gesungen wird das Flachauer Gabenbring-„Stille Nacht“ (nicht zu verwechseln mit dem echten, das beim Adventsingen ja tabu ist).
Das Bühnenbild (Dietmar Solt) nimmt man diesmal eher als Wegstrecken-Ermöglichung denn als Stimmungs-Option wahr. Alles hoch professionell, stimmt schon. Die Gutmenschen-Botschaft kommt natürlich an, auch wenn Kind und Großmutter wieder in ihre häuslichen Rollen geschlüpft sind und der hartherzige Wirt als „Verlorener“ etwas übertrieben torkelnd der Herberge bedarf – die er natürlich bekommt, wofür eigens eine neue Tür in die Kulisse gebaut ist.
Es ist nicht nötig, das Adventsingen-Vehikel total niederzubremsen. Aber deutlich weg vom Gas, was die Musik anlangt, wäre schon gut. Und vielleicht wieder einen Gang zurückschalten, was die Profi-Ambitionen anlangt. Leichter tröpfelt beim Riesen-Adventspiel im Großen Festspielhaus ja doch das Herzblut der Amateure.