Geschichten aus dem Bregenzer Wald
BREGENZER FESTSPIELE / ERÖFFNUNG
24/07/14 HK Gruber hat Ödön von Horváths Theaterstück „Geschichten aus dem Wiener Wald“ vertont. Regisseur Michael Sturminger hat das Libretto geschrieben. Die begeistert aufgenommene Uraufführung eröffnete am Mittwoch (23.7.) die Bregenzer Festspiele.
Von Oliver Schneider
Mit der „Zauberflöte“, die letzten Sommer Premiere hatte und heuer wieder aufgenommen wird, hatte der scheidende Intendant David Pountney leichtes Spiel, mit André Chénier davor war es nicht so leicht. Über die elf Jahre darf man aber wohl sagen, dass es den Bregenzer Festspielen in der Ära Pountney gelungen ist, den Spagat zwischen Unterhaltung, Volksfest und anspruchsvoller Kunst zu machen. Letzteres gelang, weil neben dem Spiel auf der Seebühne jeweils zusätzlich eine Oper im Festspielhaus aufgeführt wird, deren Komponist auch im Mittelpunkt der Konzerte und kleineren szenischen Aufführungen im Theater am Kornmarkt gewürdigt wird.
Standen in den ersten Jahren Repertoire-Raritäten von Kurt Weill bis Ernst Kreneks auf dem Programm, so gab es in den letzten drei Jahren – wie auch heuer - jeweils eine Uraufführung. Ob Judith Weirs „Achterbahn“ 2011 und Detlev Glanerts „Solaris“ 2012 in Zukunft nachgespielt werden, sei dahingestellt, André Tchaikowskys „Kaufmann von Venedig“ schon eher. Die drei Werke verbindet jedenfalls, dass sie dem Zuschauer einen einfachen Zugang zur Musik bieten und ihn nicht (über)fordern wollen.
Das gilt auch für die vierte und letzte Uraufführung der Serie: HK Gruber hat Ödön von Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ vertont, jene bitterbösen Betrachtungen über hoffnungslose Menschen der Zwischenkriegszeit, bedroht von Arbeitslosigkeit, gefangen in scheinheiligen Moralvorstellungen und letztlich anfällig für den vermeintlich von Sorgen befreienden Faschismus. Das Libretto stammt von Michael Sturminger, der auch die Regie in Bregenz übernommen hat.
Gruber überstülpt den starken und fesselnden Worten mit seiner Musik nichts, was ihre Wirkung schmälern würde. Im Gegenteil, wenn die ausnahmslos hervorragenden Solisten singen oder deklamieren, ist die Musik fast immer ins Piano zurückgenommen. Jedem Wort kann man folgen, ohne dass man auf die unglücklichen seitlichen Übertitelungsanlagen starren muss. Grubers Musik ist eingängig, zeigt – wie immer – keine Angst vor der Grenze zur „Populärmusik“ oder zum Jazz. Deshalb darf man nicht rund zweieinhalb Stunden Wohlklang erwarten. Gruber leuchtet Horváths/Sturmingers Text sehr genau aus, landet immer wieder im Atonalen, weil sich die kleinen Katastrophen bis zum finalen Coup aneinanderreihen.
Er verzichtet darauf, die von Horváth erwähnten Werke von Johann Strauß & Co oder das „Lied von der Wachau“ zu zitieren. Stattdessen hat er ein neues komponiert, bei dessen Klängen die Marianne durch dichten Nebel auf der leeren Bühne nach vorne schreitet. Kein Herz erfreuendes Volkslied, dafür eines, dass immer wieder das böse Ende vorahnen lässt. Der Blick auf die Hochhäuser auf der Donauinsel zeigt, dass Regisseur Sturminger das Werk im Heute spielen lässt. Die Handlungsorte werden auf die Bühnenrückwand oder auf Zwischenwände projiziert (Ausstattung: Renate Martin und Andreas Donhauser). Die Wachau, wo Mariannes kleiner Leopold wohlbehütet aufwachsen soll, ist alles andere als eine Idylle. Das Häuschen von Mutter und Großmutter steht direkt hinter den Lärmschutzwänden der Bundesstraße. Sturminger erzählt die „Geschichten aus dem Wiener Wald“ als zeitlos gültiges Werk. Auf unnötiges Beiwerk verzichtet er und lässt stattdessen die Protagonisten minutiös geführt miteinander agieren. Das ist genauso fesselnd wie die Musik.
Ilse Eerens ist fast schon eine Lulu-artige Marianne, die um die Liebe ihres Vaters (wuchtig Albert Pesendorfer) kämpft. Dass seine Tochter einen anderen liebt als den, mit dem sie verlobt ist, kann der Familienpatriarch nicht akzeptieren. Im Maxim will er seinen Spaß haben, wenn fremde Frauen nackt vor ihm tanzen. Doch bitte nicht die eigene Tochter. Daniel Schmutzhard gibt den Alfred, für den Marianne auf die sichere Zukunft mit dem Fleischhauer Oskar verzichtet und schließlich auf dem Strich landet, etwas zu zurückhaltend. Er ist von Gruber musikalisch aber auch blasser gezeichnet als der schlussendlich doch glückliche „Gewinner“ Mariannes: Jörg Schneider präsentiert sich in Bregenz als Oskar hervorragend. Angelika Kirchschlager ist für die Trafikantin Valerie stimmlich und darstellerisch eine Idealbesetzung, Anja Silja in der Rolle der mordlüsternen Großmutter als Charakter-Singschauspielerin ohnehin in ihrem Element. Michael Laurenz gibt den dem faschistischen Gedankengut zugeneigten Studenten Erich mit prägnantem Charaktertenor. Auch mit der Besetzung der kleineren Partien, dem Vokalensemble NOVA und - nicht zu vergessen - mit den ausgeruht klingenden Wiener Symphonikern wird man rundherum glücklich.
Weitere Vorstellungen am 27. Juli und 3. August jeweils um 11 Uhr - www.bregenzerfestspiele.com - Die Produktion ist ab 14. März 2015 im Theater an der Wien zu sehen. Die Partie der Marianne wird in Wien Eva Liebau übernehmen.
Bilder: Bregenzer Festspiele/Karl Forster