Pygmalion auf der Puszta
REST DER WELT / BAD ISCHL / WO DIE LERCHE SINGT
18//08/13 Ein überzeugendes Plädoyer für eine kostbare, in Vergessenheit geratene Lehár-Operette gelang dem Lehár Festival in Bad Ischl. Die „halbszenische“ Aufführung von „Wo die Lerche singt“ geriet nicht nur zum musikalischen, sondern überraschender Weise auch zum szenischen Erlebnis.
Von Gottfried Franz Kasparek
Das Orchester saß auf der Bühne. Am Laufsteg davor, seitlich und mitunter auch im Saal vollbrachte Leonard Prinsloo das Kunststück, großes Musiktheater zu machen. Eric Markus Weglehner hat dafür stimmungsvolle grafische Projektionen geschaffen. Heutige Alltagskleidung und Kostüme aus dem Fundus erinnern zwar eher ans Salzkammergut als an das Ungarn der Handlung, aber das macht nicht viel, denn die Geschichte ist überall gültig - schon 1956 spielte Renate Holm im Film das Pusztamädel Margit als österreichische Gretl. Es handelt sich schließlich um eine der vielen „Pygmalion“-Varianten der Theatergeschichte.
Der Budapester Maler Sándor verliebt sich bei einem Landaufenthalt in sein Modell, die Bauerntochter Margit. Seine noble Geliebte, die Sängerin Vilma, kann er aber nie ganz vergessen. Die Erziehung der urwüchsigen Margit zur feinen Salondame scheitert ebenso wie die Liebe Sándors zum Objekt seiner Kunst – wenn das Bild gemalt ist, verliert er die Lust am Bodenständigen. Gottlob gibt es einen liebenswert schrulligen Bauern-Großvater und den treuen Pista vom Dorf, sodass Margit in ihre Welt zurückkehren kann und der Modemaler ein wenig wehmütig in seine Halbwelt. Diese für eine Operette geradlinig und schlüssig erzählte Handlung, textlich klug verknappt, erzählt Prinsloo allein mit phänomenal sicherer Personenführung und dem wunderbaren „tanzenden Chor“ des Festivals: prägnant, gefühlvoll, in jeder Geste und Bewegung stimmig und völlig kitschfrei.
Das Stück, uraufgeführt in der ungarischen Urfassung als „A Pascirta“ (Die Lerche) im Februar 1918 in der Budapester Oper (und in Opernhäuser gehört es auch!), zählt zu den zu Unrecht vernachlässigten Meisterwerken der mittleren Schaffensperiode Franz Lehárs, spannenden Stücken auf dem Weg von der Tanz- zur Verismo-Operette. Es spiegelt auch die Zeit – der Adel vergnügt sich noch, steht aber nicht mehr im Mittelpunkt des bürgerlich-bäuerlichen Sujets. Landflucht und Rückbesinnung auf das „einfache Leben“ halten sich die Waage. Der im Detail mitunter banal formulierte Text ließe sich leicht auch für eine große szenische Lösung einrichten.
Wesentlich ist die faszinierend farbige, ständig auf der Kippe zur Oper balancierende Partitur – ja, eine solche existiert, von Lehár handgeschrieben, im Ischler Archiv. Dirigent Marius Burkert brachte alle irisierenden Klangfarben des Orchestermagiers Lehár zum Leuchten, ließ die oft zum Weinen schönen, dann wieder rhythmisch mitreißend magyarischen und immer unverwechselbaren Einfälle des bislang letzten genialen Melodikers der Musikgeschichte aufblühen, ohne sie zu zerdehnen, begleitete das Ensemble perfekt und wurde mit seinem frischen und präzisen Orchester zum umjubelten Star der Aufführung.
Ein weiteres Zentrum des Geschehens war Gerhard Ernst als alter Török Pál – einer, der weiß, wie man Komik und Emotion verbindet, ohne je zu outrieren. Noch dazu singt er höchst tauglich und benötigt dazu kein Mikroport. Die gab es diesmal zum Glück nicht, also konnte man auch die herzbewegende Mimik der jungen, mit viel versprechender Sopranlyrik aufwartenden Sieglinde Feldhofer als Margit ungestört mitverfolgen. Der stämmige, angenehm timbrierte Tenor Jevgenij Taruntsov als Maler verkörperte mit Stil eine charismatische Künstlerfigur mit Abgründen. Miriam Portmann, die Primadonna von Ischl, spielte sich selbst, nämlich eine elegant, aber stets natürlich agierende Sopranistin mit manch verzaubernden Tönen. Florian Resetarits war als Pista ein glaubwürdig eifersüchtiger Naturbursch, Wolfgang Gerold als Maler-Freund und Baron Árpád kam direkt aus der Welt Schnitzlers und Molnárs. Jede Figur des von Georg Smola bestens einstudierten Chors wurde vom Theaterzauberer Prinsloo exakt und phantasievoll charakterisiert.
Intendant Michael Lakner präsentiert immer wieder lohnende Entdeckungen; 2014 soll „Die Kaiserin“ des chronisch unterschätzten Leo Fall folgen. Die „Lerche“ wurde bei den beiden Aufführungen am 15. und 16, August mitgeschnitten und wird nächstes Jahr bei dem um die qualitätsvolle Aufarbeitung des Werks von Franz Lehár sehr verdienstvollen Label cpo erscheinen.