Milde ist nicht einfach
REST DER WELT / INNSBRUCK / ALESSANDRO DE MARCHI
08/08/13 Innsbruck feiert intim 50 Jahre Ambraser Schlosskonzerte. Daraus hervorgegangen sind die Festwochen der Alten Musik, zu deren Auftakt sich der Intendant und Dirigent Alessandro de Marchi Besonderes ausdachte: Mozarts „La Clemenza di Tito“ in einer Fassung des 19. Jahrhunderts.
Von Horst Reischenböck
Gedankliche Querverbindung: Wer in Innsbruck heiratet, wird (mitunter) später Kaiser. So Maria Theresias Sohn Leopold, dem die Mutter zwar abriet, so „unnütze“ Leute wie die Mozarts in Mailand „ins Brot“ zu nehmen, für den Wolfgang Amadé dann aber in Prag die Festoper zu dessen Krönung als König von Böhmen schuf. Sollte Leopolds Gattin Marie-Louise tatsächlich in dem Werk „eine deutsche Schweinerei“ gesehen haben, so dürfte das wohl eher auf die Handlung gemünzt gewesen sein – noch Verdi hatte mit Königsmord im „Maskenball“ Zensurprobleme...
Beim Publikum jedenfalls erfreute sich „La Clemenza di Tito“ wachsender Begeisterung und verschwand auch nach Mozarts Tod nicht aus dem Repertoire. Allerdings wurde die Oper dem sich wandelnden Zeitgeschmack angepasst und durch „Einlagen“ anderer Komponisten in bester Absicht aufgemotzt. Was aus heutiger Sicht des Alleinanspruchs eines Schöpfers für sein Werk merkwürdig anmutet, war damals gängige Praxis.
Alessandro de Marchi fand am Uraufführungsort, im Nostiz’schen Theater in Prag, mit Zusätzen überklebte Partiturseiten. Aus der Feder Joseph Weigls, der immerhin mit Mozart zusammengearbeitet hatte, aber auch von dem zu seinen Tagen berühmten, in Italien zu Giovanni Simone gewordenen Johann Simon Mayr (der Lehrer von Gaetano Donizetti).
Was diese Änderungen aus dem 19. Jahrhunderts faszinierend macht, ist die dadurch musikalisch untermauerte Aufwertung der Titelfigur. Weigls absolut subtile Zusätze orientieren sich durchaus an Mozarts Tonsprache und Ideen, wogegen Mayrs klar definierbar weit belcanto-mäßigerer Einschub sicherlich dazu diente, dem Sänger Gelegenheit zu lyrisch-dramatischer Demonstration seines Könnens zu bieten.
Zur Ouvertüre öffnet sich im Tiroler Landestheater der Blick auf mit Tapeten beklebte Wände und einen überdimensionalen Stuhl. Darauf der einfühlsam alle Register ziehende Tenor Carlo Allemano als Tito. Mit Sonnenbrille wirkt er dann fast wie ein Mafia-Führer und erinnert auch an den einstigen jugoslawischen Marschall gleichen Namens. Dazu passt auch später dann die gerne von Diktatoren geübte väterliche Zurschaustellung mit einem Mädchen, das ihm einen Blumenstrauß andient.
Christoph von Bernuths Regie lässt Tito vorerst sich von seinem – mutmaßlich, wie in der Antike durchaus gängig – Lustknaben Sesto verabschieden. Ein erster vokaler Höhepunkt dann Kate Aldrichs weicher, farbenreicher Mezzo in „Parto, ma tu ben mio“, nach dem Durchleiden seelischer Höhen und Tiefen der Liebe. Von Vitellia zum Mord angestachelt: grandios alle Emotionen, Wandel an Gefühlen, speziell noch im berühmten „Non piú di fiori“ im 2. Akt ausdrückend Nina Bernsteiner (im Vorjahr in Salzburg 1. Dame in Peter Winters „Das Labyrinth“). Auf gleicher Höhe Ann Beht Solvangs Annio und die absolut jugendliche Servilia von Dana Marbach. Marcell Bakonyi vom Salzburger Landestheater verleiht dem Publio entsprechend profund strenges Profil.
Zum dramatischen Aktschluss, dem Brand des Capitols mit danach auch von Feuer zerstörter Einrichtung, dreht sich erstmals die von Oliver Helf gestaltete Szene. Zuletzt, in der Arena, deutet das Volk in typisch römischer Manier mit dem Daumen nach unten, die Erwartungshaltung erfüllt sich ob der Milde des Herrschers aber nicht. Und doch: kein „lieto fine“, denn nach Vitellias Bekenntnis als Drahtzieherin hinter dem Anschlag – wem sollte Titus wohl noch vertrauen? Durchaus plausibel, dass die Oper in dieser Gestalt auch noch während und nach der französischen Revolution Anklang fand.
Die Academia Montis Regalis, vom Klangbild sowohl prachtvoll geschärft wie auch zart gefordert, hat dieser Werkfassung starke Kontur gegeben. Ein Sonderlob für Luca Luccetta an Klarinette und Bassetthorn! Und noch ein faszinierendes Detail: Nachdem sich zu damaliger Zeit ein Hammerklavier schon längst aus dem Orchestergraben verabschiedet hatte, akzentuiert Alessandro de Marchi die Secco-Rezitative nervig durch Cello und Kontrabass (was übrigens noch Richard Wagner in seinem „Liebesverbot“ so praktizierte).