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Krieg in Aulis

REST DER WELT / WIEN / IPHIGÉNIE EN AULIDE

12/11/12 Gewaltbereite Stimmung in Aulis. Das zeigt Regisseur Torsten Fischer gleich zu Beginn drastisch. Noch bevor die Musik einsetzt, fällt ein Schuss und ein junger Mann stürzt getroffen zu Boden. – Glucks Reformoper „Iphigénie en Aulide“ im Theater an der Wien.

Von Andreas Wegelin

Eine Frau kümmert sich um das Opfer und trauert zu den schmerzvollen Vorhalt-Klängen der Ouvertüre. Ohne Regung steht der Heerführer der Griechen, Agamemnon (großartig dargestellt und gesungen von Bo Skovhus), daneben. Es stellt sich heraus, dass die Trauernde die Göttin Diana – gemäß der griechischen Mythologie müsste sie eigentlich Artemis heißen – ist.  Nach der Sage soll Agamemnon die Göttin mit der Erlegung eines Hirsches so erzürnt haben, dass sie Agamemnons Tochter Iphigénie als Opfer forderte. Erst dann würden die Götter günstige Winde für das Auslaufen der griechischen Flotte nach Troja schicken, wohin bekanntlich Paris Helena entführt hat.

Torsten Fischer deutet die Szene und die Vorgeschichte der Oper als eine Gewaltanwendung der Mächtigen. Der Raub der Helena ist nur ein Vorwand für die Kriegführung. Damit holt er die mythologische Geschichte in die Gegenwart. In heutigen Kriegen ist das nicht anders: Es geht um politische Macht, Geld oder Erdöl. Folgerichtig spielt die Oper in einer von Vasilis Triantafillopoulos und Herbert Schäfer eingerichteten Drehbühne mal vor einer Ölraffinerie, mal in einer zum Zuschauerraum hin sich öffnenden Gasse, mal vor einer Betonwand oder vor einem die Bühne füllenden LED-Bildschirm, auf welchem Krieger und Kriegerinnen sowie die Gesichter der Protagonisten in Großformat zu sehen sind.

Mit wenigen, aber starken Gesten wird der Konflikt um die politische Staatsräson – das Volk fordert das Opfer – und private Vaterliebe gezeigt. Michelle Breedt verleiht der Mutter Klytämnestra ihre wunderbar strömende Mezzostimme. Ihre grosse Arie im zweiten Akt („par unpèrecruel...“) mit konzertanter Oboe (Paul Kaiser) wird zum Höhepunkt des Abends. Einzig Paul Groves wirkt in der allerdings hoch liegenden Partie des Achilles zeitweise angestrengt. Die Griechin Myrtò Papatanasiuver leiht der Iphigenie ihre klare und helle Stimme und ist auch als Erscheinung eine Idealbesetzung als Tochter des Griechenfürsten. Auch die kleineren Rollen sind allesamt hervorragend besetzt, allen voran mit großer Bühnenpräsenz und voll klingender Stimme Zoltán Nagy als Patrocle.

Am Pult der Wiener Symphoniker steht mit Alessandro de Marchi ein ausgewiesener Spezialist unter anderen für das vorklassische Repertoire. Er gestaltet die Partitur historisch informiert mit dem hervorragend disponierten Orchester. Das Cembalo wird ergänzt um Colascioni (klassische Variante der Theorbe), so hat auch das Continuo einen abwechslungsreichen, differenzierten Klang. Die klare und geradlinige Musik Glucks erschien bei der Uraufführung dem Publikum, das an die Werke von Rameau mit ihren fast endlosen virtuosen Verzierungen gewohnt war, als große Neuheit. Alessandro de Marchi will, wie er in einem Interview erläutert, der Radikalität nachspüren, welche diese Musik für das Pariser Publikum damals bedeutete. Diesem Ziel fällt die Ballettmusik zum Opfer, was nicht weiter schlimm ist.

Vom Ende der Oper gibt es mehrere Fassungen: Bei der Uraufführung 1774 wurde Iphigenie vor der Opferung von der Göttin Diana gerettet und Achill als Gattin zugeführt, bevor die Flotte nach Troja auslaufen konnte. Richard Wagner, der das Werk im 19. Jahrhundert bearbeitete, empfand diesen Schluss als zu traditionell und tadelte ihn mit der Bemerkung der „unerlässlichen Mariage“. Gluck selbst hat den Schluss kurz nach der Uraufführung umgearbeitet: Iphigenie wird wie bei Euripides nach Tauris verbannt. Damit schuf Gluck auch die Grundlage für seine fünf Jahre später entstandene Fortsetzung, „Iphigénie en Tauride“. Beide Werke, inszeniert vom selben Regieteam, sollen 2014 in Folge auf dem Spielplan des Theaters an der Wien stehen.

Torsten Fischer und Alessandro de Marchi finden für ihre Produktion der aulischen Iphigenie eine andere Lösung. Iphigénie singt am Schluss selbst die Arie der Diana, und statt ihrer fällt die Göttin bei der Opferung durch Agamemnon zu Boden. Anschliessend singt der Arnold Schönberg stimmlich wie szenisch ausgezeichnet agierend den martialischen Schlusschor des Aufbruchs nach Troja, wobei die Choristen reihum bereits von Kugeln getroffen als Opfer des Krieges hinfallen. Agamemnon steht so noch vor der eigentlichen Abreise zum trojanischen Krieg vor einem Leichenfeld. Der Schluss lässt den Zuschauer nachdenklich zurück. Anders hat man sich die Umsetzung dieser Musik vorgestellt, die Lösung von Torsten Fischer ist aber konsequent und auch auf ihre Art radikal und damit neu für das heutige Publikum. Großer Jubel für alle Ausübenden nach der zweiten Vorstellung. Bei der Premiere musste das Regieteam Buhs einstecken.

Weitere Vorstellungen bis 22. November. - www.theater-wien.at
Bilder: Theater an der Wien / Armin Bardel

 

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