asdf
 

Die Fröhlich und die Aftergut

REST DER WELT / GRAZ / HAKOAH WIEN

15/10/12 „Ich glaube, ich bin …“, beginnt sie zögerlich. Eer drauf: „Schwanger?“. Sie: „… Jüdin“. Fragt sich, was schlimmer ist. Für sie, für ihn, überhaupt. – Ein Beispiel für den pointierten Witz der israelische Theatermacherin Yael Ronen, der nicht dort Halt macht, wo gemeinhin die Political correctness einsetzt.

Von Reinhard Kriechbaum

 „Third Generation“ hieß eine ihrer heftig diskutierten Arbeiten (einer Zusammenarbeit des Israelischen Staatstheaters Habima mit der Ruhrtriennale und der Schaubühne). Immigration ist nicht mit ein, zwei Lebensaltern abgehakt. Hehre Ideen scheuern sich auch nach langen Zeitspannen an der Praxis wund. Genau das interessiert Yael Ronen.

Für „Hakoah Wien“ hat Yael Ronen Partikel ihrer eigenen Familiengeschichte hergenommen und gleich ihren Bruder, den Schauspieler und internationalen Theaternetzwerker Michael Ronen für die Hauptrolle mitgebracht: Er also spielt den Michael Fröhlich, der in Wien mit der verschwiegenen Vergangenheit seines kürzlich verstorbenen Großvaters konfrontiert wird. Die hieß eigentlich Tanja Sternberg, hat aber in Österreich, nachdem der Freund partout nach Israel wollte, unter neuem Namen eilends eine arisch unverdächtige Existenz aufgebaut. Zur allgemeinen Spurensuche kommt es, weil die Enkelin Michaela (verehelichte „Aftergut“, was für eine Chuzpe!) im Nachlass der Großmutter Briefe gefunden hat, die ein gewisser Wolf Fröhlich in den dreißiger Jahren der höchst ungewissen Tanja Sternberg geschrieben hat.

Wolf Fröhlich also war Mitglied im legendären jüdischen Wiener Sportverein Hakoah. Er war politisch überzeugter Zionist, und deshalb hat es ihn damals (noch vor dem Holocaust) mit Urkraft nach Israel gezogen. Leute wie er waren jene, die „mit ihren eigenen Händen“ das Land aufgebaut haben, leibhaftige, hehre Staatsgründer. Enkel Michael, in der jüdischen Armee tätig, sieht die Heimat-Sache heutzutage entschieden lockerer, aber auch nicht entspannt. Weil er ein Sunny Boy ist und gewandt plaudert, soll er in Wien Vorträge halten und gute Stimmung machen für Israel. Aber da kommen ihm plötzlich entschiedene Zweifel an der Lebensqualität daheim. In Europa heulen Sirenen nur bei Zivilschutzübungen, konstatiert er. Ist es wirklich die einzige Option für einen jungen Juden heutzutage, mit der Waffe in der Hand im eigenen Land zu leben? Michael Fröhlich beschließt, sich um einen österreichischen Pass zu bemühen.

Der Großvater ist zwar schon tot, aber als imaginäre unbewältigte Vergangenheit taucht er oft auf. In einer Szene reden er und der Enkel Tacheles, und da kommt Großvater Fröhlich schon ordentlich in Rage beim Gedanken, dass der Junge sich einfach so davonmachen könnte.

Manche Dinge getraut man sich aus Respekt vor früheren Generationen nicht mal recht zu denken – es sei denn, man heißt Yael Ronen und wird eben deshalb als Theater-Provokateurin gehandelt. Da darf der junge Exilant in spe schon mal bramarbasieren, dass aus Israel dort, wo es ist, ja doch nichts G’scheites wird. Das kommt dort ungefähr so gut wie Witzereissen über Auschwitz hierzulande.

Eine kunterbunte Personnage vor einem schlichten Bühnenbild, einem senkrecht gestellten Fußball-Kunstrasen und ein paar grün überzogenen Kisten, aus denen sich das eine oder andere Ausstattungsstück aufklappen lässt. Birgit Stöger als Michaela Aftergut, beruflich Psychologin mit erhöhtem Frust-Potential, macht sich also auf Spurensuche und muss auch noch mit ihrem Mann (Knut Berger) fertig werden. Der leidet unter seinem Dasein als Reserve-Torwart auf Dauer. Schwul ist er noch dazu. Immer gewaltbereit, aber mit einer  gemütvollen Seele ausgestattet ist der Fußballfan Ulf (Sebastian Klein), der allein als Prototyp für die tumbe Masse steht.

Den Vogel schießt Julius Feldmeier ab. Als Transgender-Schwuchtel Sascha gibt er eine komische Figur im Heute ab. Im blassgrauen Sportkostüm spielt er auch den jungen Großvater Fröhlich. Jammervoll schaut er im Antik-Fußballdress aus mit seinen Storchenbeinen! A propos Physiognomie: „Ich als jüdische Erscheinung?“, sagt er einmal, „da haben wir wirklich Kollegen mit längeren Nasen im Ensemble“ – da ist er wieder, der latent boshasfte Witz von Yael Ronen.

So viel lacht man jedenfalls selten an einem Abend, der um ernste Themen kreist. Es geht ohne Hakenkreuze ab, und ein KZ-Anzug kommt nur in der ersten Szene vor – als Kostümverwechslung. Man kann, wie man sieht, über Antisemitismus und jüdische Emigration ganz ohne einschlägige Versatzstücke reden. Da macht es dann gar nichts, dass die Figuren freilich Klischeebilder sind – was sonst? Viele Köche waren am Werk, weil Yael Ronen „Haokah Wien“ dezidiert mit dem Ensemble realisiert hat. Keiner der vielen Handlungsstränge wird überstrapaziert – und keiner aufgelöst. Das ist ein Trick der Theatermacherin. Man soll durchaus mit Fragen und halbfertigen Gedanken aus der quirlig-unterhaltsamen Performance gehen. Und was lernen wir draus? Gar nichts am besten. Und wenn schon, dann dies: Heimat ist als Begriff und Gefühl nicht etwas, mit dem man Staat machen könnte. Nicht mal einen Staat Israel.

Aufführungen bis 22. November - www.theater-graz.com
Bilder: Bühnen Graz / Lupi Spuma

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014