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Im tumben Gleichschritt zum Plansoll

REST DER WELT / GRAZ / AMERIKA

02/10/12 Viktor Bodó, Regie-Liebkind im Grazer Schauspielhaus, entwirft ein bildwirksames und nicht minder eindrucksvoll tönendes Anti-Lied der Arbeit nach Kafkas Romanfragment "Amerika". Je kafkaesker eine literarische Vorlage, um so mehr ist der ungarische Regisseur in seinem Metier.

Von Reinhard Kriechbaum

„Theater ist ein gefährlicher Betrieb, hier kann alles geschehen“, hat der Direktor des „Naturtheaters von Oklahoma“ gesagt und prompt endet die Szene in einer Apotheose vom amerikanischen Traum. Obwohl Karl Rossmann, die Hauptfigur in Franz Kafkas Romanfragment „Amerika“, es keineswegs vom Tellerwäscher zum Millionär gebracht hat. Der Millionärs-Neffe bewegt sich konsequent in die Gegenrichtung und konterkariert die amerikanische Utopie (oder sie konterkariert sich selbst vor seinen ungläubig staunenden Augen).

Minuten zuvor hat die Musik noch ganz anders geklungen. Auf Plastikfässern hat das Schauspielensemble – wie immer bei den Grazer Inszenierungen von Viktor Bodó Leute vom Schauspielhaus und von der Budapester Szputnyik Shipping Company – recht bravourös, so heftig wie synchron getrommelt. Und wieder zuvor entlockten die an dem Abend musikalisch recht ausgiebig geforderten Schauspieler einem Elektroverteilerkasten erstaunliche Töne.

Kafkas „Amerika“ als ein kollektiv tönendes Lied gemeinschaftlich-tumber Arbeit. Das mag inhaltlich ein wenig enggeführt klingen, aber es ist ein tragfähiger Ansatz, dem Romanfragment auf der Bühne beizukommen, ohne all zu wortlastig zu werden. Claudius Körber, ein schmächtiger junger Mann, spielt des Karl Rossmann, dessen Gerechtigkeitssinn gar arg strapaziert wird. „Die ersten Tage eines Europäers in Amerikas sind einer Geburt vergleichbar“, hat der reiche Onkel gönnerhaft gesagt. Aber schon ein Besuch in dessen Handelskontor zeigt die Fratze vermeintlichen Reichtums. Hier mag man noch an freiwillige Selbstausbeutung denken – in anderen Situationen treten die Arbeitenden stets totunglücklich in Reihe an, und Gerhard Balluch (er hat all die Rollen der Kanzleiobristen und dergleichen) geht sie wie ein Feldwebel ab, um die kleinste Abweichung zu bestrafen. Mit der Gruppe der Hotelportiere schauen wir im Hotel hinaus auf ein Pandämonium der (scheinbaren) Freiheit.

Es sind immer die gleichen Leute, mit denen Karl Rossmann auf seinem Weg durch die Neue Welt konfrontiert wird, immer in ähnlichen Rollen, in Varianten und Abarten. Es läuft vieles auf das Brechen auch von leisen Anflügen von Individualismus hinaus. Da kann Rossmann mit seinem Gerechtigkeitssinn nur den Kürzeren ziehen.

All das ist mit eminentem optischen Sinn auf die Bühne gebracht, lebt von bildhaften Assoziationen und Verknüpfungen. Viktor Bodó hat ein festes Team, das quasi wie von selbst Stil generiert: den Bühnenbildner Juli Balázs, der diesmal ein Drehbühnen-Wunderding mit Metallwänden und -streben erdacht hat, wo man blitzschnell zwischen Weite und Enge laviert. Kostümbildnerin Fruzsina Nagy macht aus Stereotypen kleine Individualisten. Anna Veress ist Viktor Bodós vertraute Dramaturgin. Ohne den Komponisten Klaus von Heydenaber ginge auch nichts. Diesmal hat die Musik besondere Rolle, nicht illustrierend, sondern selbst kräftig ausmalend.

uch das charakteristische Deutsch-Idiom der ungarische Schauspieler gehört zu Viktor Bodós Theaterarbeiten. Seit 2006 kommt in schöner Regelmäßigkeit ein Stück unter seiner Leitung in Graz heraus: Kafkas „Schloss“ hat er hier als erstes gemacht – und man könnte über den ungarischen Theaterzauberer taxfrei sagen: Je kafkaesker eine literarische Vorlage, um so mehr ist er in seinem Metier. Er denkt vom Bild her und packt das Publikum mit Musik. Auch diesmal versucht Bodó nicht, möglichst viel Text von den Buchseiten auf die Bühne hinüberzuretten. Trotz Ton- und Bilderflut ist die Sache erstaunlich wenig plakativ, denn es sind viele sehr genau gearbeitete leise Szenen eingestreut, die Stimmung kippt immer wieder. Die Begegnung von Karl Rossmann mit dem Zimmermädchen Therese (Katharina Paul) geht unter die Haut. So derb es zugeht rund um die Sängerin Brunelda: Das zarte Wesen (Kata Petö) in der Sitzbadewanne kann einem leid tun, sie ist auf ihre Weise Opfer von unmenschlichem Arbeitsdruck.

Kafkas „Amerika“ könnte man in Zeiten des ausufernden Wirtschaftsliberalismus entschieden heutiger, konkreter angehen. Aber die Folie aus Nostalgie hat Charme und rückt die Sache aus der Zeit: Im tumben Gleichschritt zum Plansoll, das hat immer Relevanz.

Aufführungen bis 23. November - www.schauspielhaus-graz.com
Bilder: Schauspielhaus Graz / Lupi Spuma

 

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