Was für eine Schauspielerin!
REST DER WELT / WIENER FESTWOCHEN / GROSS UND KLEIN
14/05/12 Die Wiener Festwochen bieten die Gelegenheit, Cate Blanchett zu bewundern. Sie ist der Star der Sydney Theatre Company, die mit „Groß und klein“ (Big and Small) von Botho Strauß im Museumsquartier gastiert.
Von Werner Thuswaldner
Genau darauf haben wir gewartet, dass jemand von der anderen Seite des Erdballs kommt und uns erklärt, wie die Befindlichkeit der Deutschen gegen Ende der siebziger Jahre gewesen ist. So hat ein englischer Kritiker gemotzt, als die Sydney Theatre Company vor kurzem mit dem Stück „Groß und klein“ von Botho Strauß im Barbican Centre gastierte. Ja, die Zeit ist dem Text von Botho Strauß durchaus anzumerken. Daran ändern auch die behutsamen Aktualisierungsretuschen der im Übrigen vortrefflichen Übersetzung durch den englischen Dramatiker Martin Crimp wenig.
Aber die ideenreiche und überaus feinfühlige Inszenierung Benedict Andrews’ bringt doch an den Tag, das das zentrale Thema des Stücks, das virtuos die Stilelemente und Möglichkeiten des Absurden Theaters nützt, heute noch präsenter ist als damals, als Peter Stein 1978 an der legendären Schaubühne am Halleschen Ufer die Uraufführung inszenierte: Lotte, die Hauptfigur – eine Riesenrolle, die einer Schauspielerin das Letzte abverlangt – unternimmt alles, um dazuzugehören und muss erleben, wie sie aus der Gesellschaft hinausgedrängt wird. Diese Gesellschaft verfügt über bestens funktionierende Kommunikationssysteme. Und dennoch gehen die Verständigungsversuche daneben. Weil diese Systeme offenbar nur höchst oberflächliche Kontakte zulassen.
Was die Schauspielerin Cate Blanchett aus dieser Lotte macht, hat eine solche Wucht, dass man versucht ist, von einem theatralischen Elementarereignis zu sprechen. Johannes Schütz hat für die Abfolge der zehn Szenen einfache Räume mit starker Imaginationskraft gebaut.
Die erste Szene zeigt Lotte, die eine Pauschalreise nach Agadir in Marokko gemacht hat, in der Lobby eines Hotels, wie sie Fetzen eines Gesprächs zwischen zwei Männern mitbekommt, die draußen auf einer Terrasse auf und ab gehen. Mit einem Alt wie Zarah Leander lädt Cate Blanchett den Text mit erotischer Spannung auf. Sie wirft gleichsam eine Orgel wunderbarer stimmlicher Modulationen an, die immer wieder das enge Nebeneinander von Witz einerseits und lähmender Trauer andrerseits spürbar machen. Die stimmliche Variationsvielfalt geht synchron mit einer mitreißenden körperlichen Beweglichkeit und Ausdruckskraft.
Diese Lotte ist scheinbar voller überschießender Energie, ein Bündel an Vitalität, kontaktfreudig wie nur und immer positiv. Nicht unterzukriegen, nicht zu brechen. Obwohl sie ihr Mann von sich stößt, obwohl sie eine Zurückweisung nach der anderen erfährt. Wohl ist Lotte einigermaßen in der Realität verankert, aber sie kann auch jederzeit abheben in eine Dimension des Überirdischen. So etwa durchlebt sie intensiv, dass es dem „lieben Gott“ in den Sinn kommen könnte, sie, ausgerechnet sie – wie schon einmal eine andere Frau – konkret körperlich zu einer „Auserkorenen“ zu machen. Ihre Temperamentsausbrüche sind einzigartig. Klar ist es denkbar, sich Lotte als ein zerbrechliches, ängstliches, neurotisches Wesen vorzustellen. Allein, wenn man bedenkt, dass Edith Clever in der Uraufführung diesen Part gespielt hat. Aber im Gegensatz dazu tut das starke Statement der australischen Schauspielerin einfach gut.
Lotte muss viele Niederlagen erfahren, bis ihr der Schneid abgekauft wird. Am Schluss kommt es so weit, dass sie sich, obwohl ihr körperlich nichts fehlt, in das volle Wartezimmer eines Arztes setzt, nur um unter Menschen zu sein. Und dort zeigt sich nicht zum ersten Mall, dass Cate Blanchett auch mit leisen Tönen den Nerv treffen kann.