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Starke Menschen-Geschichten

REST DER WELT / DIAGONALE / SIEGERFILME

26/03/12 Der Dokumentarfilm „Griffen – auf den Spuren von Peter Handke“ hat den Publikumspreis bei der Diagonale in Graz bekommen. Der Spielfilm-Preis ging an „Stillleben“ von Sebastian Meise, der Dokumentarfilmpreis an „Richtung Nova Huta“ von Dariusz Kowalski.

Von Reinhard Kriechbaum

Als der Filmemacher Bernd Liepold-Moser in der Schulbibliothek nachfragte, ging sogleich die Sucherei los. Wo stehen sie doch, die Handke-Bücher? Die Kinder wissen gut Bescheid um den großen Sohn aus dem Kärntner Griffen: „Eine Sehenswürdigkeit“, sagt einer. Man klatscht sich nicht selten auf die Schenkel vor Vergnügen in dieser achtzig Minuten dauernden filmischen Spurensuche. Es gibt ja noch Leute in Griffen, die sich an Peter Handke als Heranwachsenden gut erinnern können. Immer habe er den Kopf in den Büchern gehabt, Fußball spielen hat ihn keiner je sehen. Und ausgerechnet der schreibt über „Die Angst des Tormanns vor dem Elfmeter“! So was liest man gleich gar nicht, als Griffener Handke-Augenzeuge.

Eine Meinung zu Handke haben viele am Ort. Viele eine schlechte, manche eine gönnerhaft gute. Dass Handke sich zum Slowenentum bekennt, macht ihn sowieso verdächtig. Nicht so beim Bruder, der vom Peter regelmäßig Ansichtskarten bekommt und ihm beim Schnapsen gerne zeigt, wo der Bartl den Most holt. Gelesen hat er nichts von ihm, weil beim „Wunschlosen Unglück“ war er als Familienangehöriger eh dabei, und die anderen Dinge interessieren ihn nicht.

Ob Handke ein Vorbild sein könnte für die Schulkinder in Griffen? Da kommt der Schulbuchfahrer tief ins Sinnieren: Wenn die Hälfte der Bevölkerung so wäre wie Peter Handke – wer weiß, ob das wirklich so gut wäre?

Auffallend, nicht nur das Publikum, auch die Juroren haben sich für Regisseure entschiedcen, die sich jeweils das erste Mal an einen Langfilm wagten. Man hat also sehr entschieden an den ohnedies prominenten Beiträgen des Jahres (etwa „Atmen“ von Karl Markovics). Den Großen Diagonale-Preis hat der Vorarlberger Sebastian Meise für „Stillleben“ erhalten. Wagemutig, einen Film zu drehen, bei dem das Ungesagte, der schweigende Vorwurf im Mittelpunkt steht. Der Vater hat ein Bordell besucht, er hat die Prostituierte in die Rolle seiner Tochter schlüpfen lassen. Der Sohn erfährt davon, in der Familie bricht nicht die wortreiche Krise, das handfeste Abrechnen aus, sondern das große, lastende Schweigen. Der unausgesprochene Argwohn. Der unbestätigte Verdacht. Die Mutter hat – natürlich – nicht die leiseste Ahnung gehabt, sagt sie. Der Sohn hat als Zehnjähriger irgendwelche Fotos gesehen, das aber nicht einordnen können. Der Vater habe sich nie an ihr vergriffen, versichert die Tochter. War sie Opfer nur im Gedanken des pädophilen Vaters?

Sebastian Meise ist ein völlig unplakativer, unprätentiöser Zugang zu Thema gelungen. Mit einem Schauspielerteam, das das Ungeheuerliche ohne jede Übertreibung vermittelt. Und der „Täter“, sei es in Gedanken oder Werken? Er war bis vor kurzem der liebenswerteste Familienmensch. So leicht macht es einem der Film nicht, zu (ver)urteilen.

Nowa Huta – ein Industriestadtteil von Krakau, eine jener urbanen Keimzellen in Polen, wo die Solidarnosc-Bewegung ihre Mitstreiter rekrutierte. Bald ein Vierteljahrhundert ist seither vergangen, man kann eine Nostalgie-Stadtführung im Trabi buchen. Der seit langem in Wien lebende Filmemacher Dariusz Kowalski hat einen guten Grund, sich „Richtung Nowa Huta“ aufzumachen: Er ist hier aufgewachsen. Was nicht heißt, dass ihn nicht gelegentlich ein starkes Gefühl der Fremdheit überfiel bei der Wieder-Annäherung.

Der Preis Innovatives Kino ging an „Hypercrisis“ von Josef Dabernig. Christine Ostermayer („Anfang achtzig“) und Michael Fuith („Michael“) wurden mit den diesjährigen Diagonale-Schauspielpreisen ausgezeichnet. Bereits bei der Eröffnung war Johannes Silberschneider mit dem Großen Diagonale-Schauspielpreis gewürdigt worden. Insgesamt wurden im Rahmen der Diagonale Preise im Wert von knapp 150.000 Euro vergeben.

23.700 Besucher, eine Steigerung, obwohl das Programm eine Spur weniger dicht war: 74 Prozent Auslastung ist viel. Die Diagonale ist keineswegs bloß ein Festival fürs Fachpublikum, die Drängerei an den Kassen vor allem abends war gewaltig.

Die Diagonale 2013 findet voraussichtlich von 12. bis 17. März statt. - www.diagonale.at
Bilder: Diagonale


 

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