Ein gediegener Kostümschinken
WIEN / LE NOZZE DI FIGARO
24/02/11 Velázquez, Gijsbrechts, Pierson und Reproduktionen anderer Alter Meister auf der Bühne stecken den Rahmen ab, den Regisseur Jean-Louis Martinoty und sein Bühnenbildner Hans Schavernoch ihrer Neuproduktion von „Le nozze di Figaro“ an der Wiener Staatsoper, geben.
Von Oliver Schneider
Gegen eine historisierende Inszenierung, in die das Jus primae noctis des Grafen Almaviva passt, in der es trotz gemeinsamer Verschwörungen über die Standesgrenzen hinweg ein Oben und ein Unten gibt, ist nichts einzuwenden. Historisierend heißt jedoch nicht, dass der Regisseur auf die Interpretation verzichten kann. In Wien ist das leider der Fall.
Mozarts „Figaro“ nach Beaumarchais Komödie „Der tolle Tag“ hat vor allem in den ersten beiden Akten nichts mehr mit dem Titel der Vorlage zu tun, sondern ist zu einem gediegenen Kostümschinken degradiert (Kostüme: Sylvie de Segonzac). Der erste Akt zieht sich zähflüssig dahin, weil Martinoty nicht einmal den Versuch eines Ausflugs ins Diesseits der modernen Opernästhetik zu machen wagt. Ab dem zweiten Akt tritt eine leichte Besserung, weil Dorothea Röschmann als Gräfin ihre gesamte Rollenerfahrung einbringt. Ansonsten besitzt eigentlich nur Luca Pisaroni als Figaro genügend Profil, um das Leben auf dem Schloss der Almavivas an diesem Tag durcheinanderzuwirbeln.
Bei einem solchen Ergebnis von der szenischen Seite her stellt sich die Frage, warum Dominique Meyer sich nicht für die Restauration der zumindest ansatzweise noch bis zuletzt funktionierenden Ponelle-Inszenierung entschieden hat. Schlechter wäre das Resultat sicherlich nicht gewesen.
Zum Glück steht und fällt ein Opernabend immer noch mit der Musik. Die sängerischen Leistungen sind mehrheitlich auf herausragendem Niveau, und die Ansätze zu einer neuen Wiener Ensemblebildung lassen sich erkennen. Dorothea Röschmann gebührt auch sängerisch der Podestplatz mit ihrem dunkel getönten und differenzierten Sopran. Wenn sie sich im dritten Akt der schönen Momente in ihrer Vergangenheit erinnert, legt sie so viel inniges Gefühl in die Stimme, dass man ob der Konzentration im Zuschauerraum die berühmte Stecknadel hätte fallen hören können.
Rollenerfahren wie die Röschmann ist auch Luca Pisaroni – er hat den Figaro auch in dieser, auf DVD festgehaltenen Produktion 2004 im Pariser Théâtre des Champs-Elysées gesungen. Er singt den gewieften Drahtzieher mit seinem wohltönenden Bassbariton vokal unanfechtbar. Erwin Schrott hingegen wirkt als Graf neben ihm darstellerisch blass und stimmlich zu eindimensional. Er dürfte an der Partie des Verführers und gleichzeitig eifersüchtigen Ehemanns noch etwas feilen.
Sylvia Schwartz verfügt über einen leichten, beweglichen und eigentlich idealen Sopran für die Partie der Susanna, der mit dem vollen Organ der Röschmann wunderbar harmoniert. Jedoch scheint Schwartz‘ Stimme (noch) zu wenig durchschlagskräftig für das Haus am Ring. Das gilt auch für Anna Bonitatibus als Cherubino. Mit Donna Ellen als Marcellina, Sorin Colibran als aufgeblasener Bartolo, Benedikt Kobel als Don Curzio, Benjamin Bruns als Basilio und Marcus Pelz als Antonio sind die übrigen Partien rollendeckend aus dem Ensemble besetzt. Daniela Fally als Barbarina hingegen ist ein Solitär für diese Mini-Partie.
Anders als am Vorabend bei einer „Holländer“-Repertoireaufführung spielte das Staatsopernorchester in der zweiten Figaro-Vorstellung unter Franz Welser-Möst auf für das Haus adäquatem Niveau. Der Generalmusikdirektor setzt von Beginn weg auf flüssige Tempi im Rahmen einer ausgewogenen Tempodramaturgie, lässt luftig und transparent musizieren, was gepaart mit den philharmonischen Stärken des Orchesters zu einem runden, ästhetischen Gesamtbild führt. Das Prickeln, das Mitreißende und das Hintergründige in Mozarts genialer Musik – das bleibt freilich ein wenig auf der Strecke, womit sich aber der Bogen zur Inszenierung schließt.