Ein Geben und Nehmen
WIEN / OFFENER BÜCHERSCHRANK
16.02.2010 Eine individuelle Antwort aufs "Bookcrossing": In Wien steht seit anderthalb Wochen ein "Offener Bücherschrank" - und die Bücher müssen, wie sich gleich nach Eröffnung zeigte, nicht drauf warten, gelesen zu werden.Von Reinhard Kriechbaum
Beim "Bookcrossing" geht es darum, dass man Bücher einfach irgendwo liegen lässt – tunlichst an Stellen, an denen andere Bücherfreunde sie finden können. Die Bücher haben Identifikationsnummern und die sollte man in die weltweit verbreiteten Internet-Foren eingeben. So kann man via Web mitverfolgen, welche Wege sie zurücklegen.
Auch der Inhalt des kürzlich im siebenten Wiener Gemeindebezirk (Neubau) installierten "Offenen Bücherschranks" dürfen mitgenommen werden. Und die Hoffnung der Betreiber, dass die Bestände auch wieder aufgefüllt werden, wird offenbar nicht enttäuscht.
DrehPunktKultur hat die Sache dieser Tage beobachtet: Kaum einmal ist der Bücherkasten verwaist, immer sind Neugierige um die Wege, die mal schauen, was so da ist: Die Auswahl von Michael Köhlmeiers „Idylle mit ertrinkendem Hund“ über Kochbücher und einem Einführungswerk zum Thema Surfen bis hin zu Titeln wie „Kurz gefasste Katzenkunde“ oder „Öko-Bilanz Österreich“.
"Im Laufe der Zeit sollte sich ein Ausgleich aus Geben und Nehmen einstellen", hofft Frank Gassner, dem der "Offene Bücherschrank" eingefallen ist. "Der Schrank sollte sich dann quasi autark erhalten."
Wie weiß man, dass man ein Buch vom "Offenen Bücherschrank" in Händen hält? Die hier beheimateten Bände haben einen deutlich sichtbaren Aufkleber. Sieht man das Sortiment daraufhin an, so fallen viele noch unregistrierte Bücher auf. Es scheint also so zu sein, dass mancher Wiener die Gelegenheit nutzen, um mal daheim büchermäßig "auszumisten". Was neu eingestellt wird, bekommt von freiwilligen Helfern den Aufkleber. Damit sollen die Bücher dem merkantilen Warenkreislauf entzogen werden.
„Der öffentliche Raum ist großteils geprägt von Kommerzkäse“, sagt Gassner, der die Startkosten von 1.700 Euro aus eigener Tasche bezahlt hat. Rund 250 Bücher betrug die "Erstausstattung". Die Erfahrung von Frank Gassner: "Mittlerweile hat sich der Füllstand eingependelt und die Auswahl wird durch die Benützerinnen und Benützer ein bis zwei Mal in der Woche völlig ausgetauscht."
24 Stunden am Tag ist der "Offene Bücherschrank" an der Ecke Zieglergasse/Westbahnstraße geöffnet, die beiden Glastüren werden nie abgesperrt. Eine reichlich schräge Angelegenheit? Zumindest von der Bauart her tatsächlich: Der Schrank steht schief, und das hat damit zu tun, dass das Wasser möglichst gut abrinnen soll.