Schwaden aus der steirischen Herbstnebelsuppe
STEIRISCHER HERBST / AUFTAKT
28/09/10 Es war höchst an der Zeit, dass man die Minimal Music neu erfindet beim "steirischen herbst". Am Eröffnungsabend (Freitag, 24.9.) war es endlich so weit. So vertraut das tönende Ergebnis anmutete, der Weg dahin war zumindest originell.
Von Reinhard Kriechbaum
Die Helmut-List-Halle war zur "Maschinernhalle #1" mutiert. Zwölf Metallplatten, jeweils etwa zwei mal ein Meter, dienten eben so vielen Tänzern als Podien. Diese Metallflächen waren mit Sensoren ausgestattet. Hinter jedem Podest ein Pianino mit elektronisch betriebenem mechanischem Hebelwerk, das auf die Tasten drückte. Und wie nun die Tänzer sich bewegten, wurden wie von Geisterhand pianistische Patterns frei gesetzt: dutzendfach und noch viel öfter wiederholte Motive, die einander überlagerten, ergänzten, verdichteten. Je mehr Tänzer beteiligt waren, desto dichter Klang und Harmonie. Es machte natürlich einen Unterschied, ob die Mädchen und Burschen nur mit den Zehenspitzen oder Gliedmaßen ans Metall tippten (duftige Tongespinste), oder ob sie sich wuchtig auf die Platte knallen ließen. Und auch das Drüberwischen brachte entsprechenden Effekt.
"Maschinernhalle #1" war eine Gruppenarbeit der Choreographin Christine Gaigg, des Regisseurs Philipp Harnoncourt, des Komponisten Bernhard Lang und des Tontechnikers Winfried Ritsch. Wie gesagt: Das tönende Ergebnis war überschaubar und so innovativ nicht, aber die Methode hatte gehörigen Schau-Wert. Und fürs Publikum ist die eigentliche Genese ja so augenfällig auch wieder nicht gewesen. Wie weit generierten die Tänzerinnen und Tänzer selbst die Musik, wie weit "regierten" die Autoren an den Mischpulten mit?
Damit sind wir beim Thema des "steirischen herbst" heuer: "Meister, Trickster, Bricoleure". Früher hätte man gesagt: Virtuosen, Blender, innovative Kräfte. Die Spieler-Typen und die Scharlatane voneinander zu trennen, die Geister von den Un.-Geistern zu trennen, die Sinne dafür zu schärfen wo und wie Kunst das Vehikel sein kann, um neue Ufer zu erreichen - das ist ein hehres Festival-Ziel.
In welche der drei Gruppen mag die französische Performerin Gisèle Vienne einzuordnen sein, die ebenfalls am Eröffnungswochenende ihr nicht ganz anderthalbstündiges Wald-Mythos-Stück "This is how you will disappear" vorstellte. Da gab es keine steirischen Eichen, sondern eher Fichten-Monokultur mit einigem Unterholz. Aber dafür reichlich steirische Herbstnebelsuppe. Ein eigener "Nebelingenieur" ist ausgewiesen in der langen Liste der Beteiligten, außerdem gleich drei Menschen für die Betreuung zweier Vögel, die in der letzten Szene auftauchen. Worum mag es gehen? Recht heutige Typen - ein Fitness-Trainer, eine Akrobatin, ein weinerlicher Pop-Star haben sich im Wald verirrt, tauchen zu einem teils üppigen, teils psychedelisch flirrenden Elektronik-Gebräu (Stephen O'Malley, Peter Rehberg) ein in den dunklen Tann, durch den Nebelschwaden geblasen werden, die ungemütlich kalt auch in den Zuschauerraum des Mumuth (der Musiktheaterbühne der Kunsthochschule) kriechen. Da hat man zu schauen, und auch nicht wenig zu rätseln.
Ein Wochenende der Grenzgänger: Die New Yorker Regisseurin Annie Dorsen setzte sich in einer maschinen-intelligenzgesteuerter Performance mit der Frage auseinander, ob wohl einem Diskurs von Homunculi philosophische Diskussionen, womöglich gar Problemlösungen zuzutrauen wären. Gleich über eine Woche geht der "Masterplan" von Susanne Kudielka (Deutschland) und Kaspar Wimberley (Großbritannien), die eine Architektur-Kulisse vor dem Forum Stadtpark errichtet haben und von hier aus Parkbesucher - Jogger, Spaziergänger, Radfahrer, Hundebeitzer - beobachten. Feldforschung unter Park-Flaneuren, die nächstes Wochenende ihrerseits aufs Podium gebeten werden. Die Interaktion mit dem Publikum und der Stadt wird jedenfalls aufs Emsigste betrieben heuer.