Die Meistersinger ohne Nürnberg
LANDESTEHATER LINZ / MEISTERSINGER
21/09/10 Während der Ouvertüre tragen Kinder aller Hautfarben eine putzige Alt-Nürnberger Spielzeugstadt von der Bühne. Ausgerechnet Beckmesser sprüht „Hier gilt’s der Kunst“ auf einen weißen Zwischenvorhang, während Eva und Stolzing unter einem Apfelbaum in Liebe fallen: Richard Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ spielen einen langen Linzer Opernabend lang bloß in einem Reich der Kunst. Von Gottfried Franz Kasparek
Regisseur Olivier Tambosi hat die deutsche Nationaloper radikal von aller Deutschtümelei gereinigt. Auch textlich - in der Schlussansprache geht es in seiner Version um die „wahren Meister“ und um „seichte Kunst und seichten Tand“, und „uns bliebe gleich die ewig neue Kunst.“ Walther von Stoltzing ist der siegreiche Avantgardist. Sein Widerpart Beckmesser ist genauso ein „Outlaw“, aber einer, der an seiner Formelhaftigkeit erstickt. Die Meister, ein buntes Häufchen von Bohèmiens unserer Tage, marschieren nicht mehr auf eine Festwiese, sondern erscheinen ganz locker zum Event. Der – übrigens famose – Chor verwandelt sich von Schneidern in Bäcker und Metzger, was wohl auch der kleinen Linzer Bühne geschuldet ist. Die Mädel zum Tanze kommen nicht mehr aus Fürth, sondern von der Straße. Nürnbergs Sachs ist ein arrivierter und globalisierter Künstler voll Weitblick und Menschlichkeit. Schustern muss er freilich schon.
So in sich schlüssig die zeitlose Fassung des Finales ist, so sehr darf man dennoch danach fragen, wie weit man ein Stück wie dieses optisch jeglicher zeit- und ortgebundener Grundlage berauben kann, ohne das spezifische Flair von Handlung und Musik zu stören. Natürlich ging es Wagner nicht nur um die nationale Apotheose (um die ging es ja eigentlich eher Frau Cosima, der halben „Welschen“), sondern viel mehr um eine Parabel über die Freiheit der Kunst, über die Zwänge einmal aufgestellter Kunstregeln und Codes, nicht zuletzt auch um das Beziehungsdreieck Sachs-Evchen-Stolzing. Aber ebenso spielt der Zauber winkeliger Fachwerkgassen in die oft so wundersam altfränkische Musik hinein, ebenso stand das deutsche Volkslied Pate für die Gesänge.
Sei’s drum, im intimen Rahmen des Linzer Landestheaters glückte eine freche, pfiffig ausgearbeitete, sorgsam konturierte und in jeder Bewegung geradezu partiturgetreu musikalische Aufführung. Eine Gratwanderung zweifellos, aber eine spannende und bedenkenswerte.
Nicht ganz so geglückt ist Bengt Gomérs Bühnenbild. Zwar ist die dominierende Wand mit vielfarbigen Worten der Liebe in allen möglichen Sprachen hübsch anzusehen, aber sie engt mitunter die Spielfläche noch mehr ein. Die Schusterstube, eine kleine schwarze Kiste von weißen Wänden umrahmt, wirkte bei der Premiere recht stimmungslos. Das lag auch daran, dass der schwer indisponierte und aufopfernd stumm agierende Sachs von Albert Pesendorfer vom in einer Loge sitzenden Johannes von Duisburg zwar qualitätsvoll stimmlich gedoubelt wurde, aber eben doch die Einheit von Spiel und Ausdruck fehlte. Wer noch dazu das Pech hatte, unter dem Sänger zu sitzen, bekam zudem nur leise Töne von ihm zu hören.
Gekleidet ist das Ensemble von Kostümbildnerin Inge Medert in vielfarbige T-Shirts, auf denen Städtenamen aus aller Welt stehen, auf dem des Sachs etwa Tel Aviv.
Nur Beckmesser wechselt zwischen Sonne-, Mond- und Erde-Leibchen. Björn Waag gelingt in dieser Rolle mit all seiner schmerzlichen Pose, seinem stimmlich markant formulierten Ehrgeiz eine ebenso witzige wie menschlich anrührende Gestalt. Überhaupt wird auf gutem Niveau gesungen, von Katrin Adel, mehr Eva als Evchen mit hellem Sopran, von Karen Robertson als stattlicher Magdalene, von Michael Ende, der sich mit schön timbriertem, heldisch-lyrischem Tenor den Stolzing gut einteilt und am Ende beim Preislied noch auftrumpfen kann, von Matthäus Schmidlechner als vokal ideal kontrastierendem, spielfreudigem und prachtvoll textverständlichem David, der diesmal auch Lehrmädchen in seiner Gesellschaft haben darf.
Die kuriose Meistergarde wird von Dominik Nekel mit profundem Pogner-Bass und Seho Chang als originellem Kothner angeführt. Jede einzelne der Figuren ist scharf und einprägsam gezeichnet und wird von treuen Mitgliedern des Linzer Ensembles liebevoll gestaltet. Nikolai Galkin lässt einen schönen Nachtwächter-Bass hören.
Dennis Russell Davies am Pult des gut aufgelegten Bruckner Orchesters bot eine seriöse, rhythmisch fein akzentuierte, aber ebenso gefühlvolle Deutung der Partitur und ließ auch dem auftrumpfenden Pathos musikalisch sein Recht. Erstaunlich, dass auch in beengten Verhältnissen oft wohlige Klangbäder entstehen können. In der live nie ganz perfekten Bewältigung der Prügelszenen-Fuge folgte Davies tapfer größten Vorbildern.
Diese Prügelszene, eine turbulente Polsterschlacht, an deren Ende liebende Paare auf der Bühne schlummern, zählte zu den stärksten Eindrücken des Abends. In den ausdauernden Schlussjubel mischten sich ein paar kräftige Buhs für das Regieteam. Jedenfalls sind diese „Meistersinger ohne Nürnberg“ eine Reise nach Linz wert. Hans Sachs wird hoffentlich bald gesunden. Man darf sich auch drauf freuen, dass Olivier Tambosi im langsam Form annehmenden neuen Musiktheaterhaus ab 2012 den „Ring des Nibelungen“ inszenieren wird.