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Das ganze Leben und seine Tücken

GRAZ / LA STRADA II

03/08/24 Vereinbarkeit von Beruf und Familie? Das Problem hat auch The Amazing Katleen, besonders, wenn sie grad auf einem Sessel Handstand macht, der auf vier Flaschen steht – und das Gör anruft und sich beschwert. – Dass die Welt am Abgrund steht, macht die wunderbare Truppe Baro d’evel auf dramatisch poetische Weise klar.

Von Heidemarie Klabacher

Aus Lehm und Ton schuf Gott weiland den alten Adam. Und mit Ton gatschen die Mitglieder der Gruppe Baro d’evel in der Produktion Qui some spielerisch herum. Auf der Töpferscheibe entsteht zunächst ungehörig schlenkerndes Längliches. Dem Künstler ist's peinlich. Die erste Maske gelingt auch nicht. Die ersten Menschen rutschen und schlittern akrobatisch im Ton-Waser-Gemisch, wälzen sich kunstvoll im Gatsch zur live gesungenen, daher mit etlichen durch Ausrutschten bedingten Glissandi verzierten Vivaldi-Arie Cum dederit – seit Andreas Scholl und James Bond Spectre allen bestens bekannt. Am Ende sind auf der Bühne im Grazer Opernhaus alle grau verdreckt wie Mitglieder eines Urzeit-Stammes.

Nach diesem Satyrspiel vorab gehen Baro d’evel mit der heutigen Menschheit und der ihr anvertauten Schöpfung ins Gericht. Unheimlich. Poetisch. Tanzend oder rhymtmisch exerzierend, teils zur Marching-Band live, teils zu packenden elektronischen Sounds (Pierre-François Dufour) vor einem Gebilde, das einem vom ersten Augenblick an unheimlich ist. Einige Längen da und dort gegen Ende, trotzdem aufwühlender als alle Prognosen und Mahnungen der Wissenschaft oder gar jeder Klima-Kleber-Klaumauk. Das zottelige Ungeheuer mit x-tausend fransigen Tentakeln oder tentakeligen Fransen – Berg, Klippe, Riff oder Monster – holt sich einen der Menschen. Man rechnet schon nach, wie lange das Stück dauert, bis alle verschlungen sind. Aber so kommt es nicht. Es kommt nämlich immer anders als man meint, und irgendwann erhebt sich das gebirgige Gebilde, faltet sich in die Höhe und wird als Fläche fast noch unheimlicher.

Der Töpfer-Gott vom Anfang schaut einmal heraus aus seiner Höhle (wohgemerkt nicht von seiner Höhe, in der Lesart von Baro d’evel ) und blickt hinunter auf den inzwischen angeschwemmten „Strand“ aus tausenden flach gedrückten Pet-Flaschen. Verwirrt fragt er – und wie alles Gesprochene „versteht“ man das gesprochene Wort akustisch  eher nur „gefühlt“ – was denn seine Geschöpfe aus seiner Schöpfung gemacht haben. Das fragen wir uns auch. Und das Mädchen, das immer wieder kleine Handlangerdienste leistet und leitmotivisch durch die Szene wandert, wandert durch eine Zukunft, die wir ihm vermutlich geraubt haben. Dass soviel Botschaft als VollblutTanzTheater ohne erhobenen Zeigefinger daher kommt, ist ein Bühnenwunder. Um das Ganze dann wieder zu erden, führen die Darstellerinnen und Darsteller mit Instrumenten und herrlichem Krawall das Publikum hinaus in den Hof hinter der Oper – wo weiter gespielt und getöpfert wird, Plakate gedruck und verkauft werden: Zirkus pur plötzlich. Ein sensationeller Abend.

Deutlich weniger sensationell, dafür deutlich mehr circensisch, die liebenswürdige Produktion des belgischen Circ Rodini mit einer Feiluft-Aufführung bei freiem Eintritt. Die vielen Mütter kleiner und kleinster Kinder im Minoritenhof werden sich ihr Teil gedacht und Sympathie empfunden haben: Es geht ja doch alles schief, was schief gehen kann. Ob nun das Brett bricht, das, über eine Rolle gelegt, als tückische Handstand-Basis dienen soll, oder die Zentrifugalkraft das Popcorn aus dem Teller schleudert, das auf einer dünnen Stange rotieren soll – im ungünstigsten Moment ruft die Babysitterin an... Die Artistin, der dann auch noch der Regen die letzten Nummern verunmöglicht hat, hatte mit ihrer unaufgeregten klassischen Zirkuskunst mit clownesken Einschlägen alle Sympathien auf ihrer Seite. Den Babies in ihren Kinderwägen war's wurscht.

Den Grazer Hauptplatz dröhnte die Gruppe Cie Dyptik mit der tumultösen – und sonst wenig inhaltsreichen – HipHop-Brake Dance-Produktion Mirage – A Day of celebratio zu. Außer Lautstärke und charismatischen Performerinnen und Performer, die nur leider keine Geschichte zu erzähen hatten, war da nicht viel.

La Strada, das internationale Festival für Straßenkunst, Figurentheater, Neuen Zirkus und Community Art dauert noch bis morgen Sonntag (4.8.) – www.lastrada.at
Bilder: La Strada / Baro d’evel (1); dpk-klaba (3)

 

 

 

 

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