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Mozart überlebt arschknapp

WIEN / LA CLEMENZA DI TITO

23/05/24 Die Leinwand liegt auf dem Boden, Titus, hier nicht römischer Kaiser, sondern Malerfürst, schwingt den Pinsel unter anerkennenden Rufen des Volks, das offenbar einer performativen Vernissage beiwohnt. – Milo Rau einer der Hauptprotagonisten des dokumentarischen Theaters, arbeitet sich an Mozart ab.

Von Reinhard Kriechbaum

Was will der Festwochen-Intendant erzählen? Alles, nur nicht die Geschichte von La Clemenza di Tito. Ihm schwebt Werk-Dekonstruktion vor, so wie man es im Theater seit langem hält: Stückwerk von Stücken, Rotstift so lange angesetzt, bis haargenau jene Aussage herauskommt, die Theaterleute ihrem Publikum aufs Aug drücken wollen. Das kann erhellend sein, ist öfters Mal aber intellektuell deutlich einengender, schmalspuriger als die Originalwerke. Die Oper glaubt man doch eher vor solchen Einengungen gefeit, denn kaum jemand getraut sich in den Notentext elementar einzugreifen. Der gilt ja doch als sakrosankt.

Aber was ist Milo Rau schon heilig? Wortreich tut er im Abendprogramm kund, wie meilenweit sein Verständnis von dokumentarischem, integrativem und partizipativem Theater vom Genre Oper entfernt ist. Die Oper gelte gar „als ultimative bürgerliche Kunstform“, pfui, wogegen er gerade das „elitäre Selbstverständnis“ abschaffen wolle. Immerhin: „Die Kollektivität, die eine Opernproduktion umgibt, ist herzerwärmend.“

Alles scheint nicht verloren beim Opernhasser Milo Rau, auch wenn La Clemenza di Tito durchaus danach aussieht. Ein Ausstellungsraum, links und rechts Flüchtlingslager. Wenn sich die Bühne dreht, ist alles vollends zugemüllt. Für die Ausstattung hat man wohl einen Recyclinghof ausgeräumt. Neben den Sängern sind neunzehn in Wien lebende Menschen mit Migrationshintergrund auf der Bühne. Brutal geht es zu. Einem wird gleich mal das Herz aus dem Leib gerissen. Es wird erschossen und gehenkt. Titus, der Gutmensch, steht alldem ohnmächtig bis fassungslos gegenüber. Mit einem Stück der Schlussszene lässt Milo Rau diese Brutalo-Paraphrase beginnen, nach einigem hin und her hört man dann doch die Ouvertüre. Musiknummern wurden nach Bedarf hin und her geschoben oder gestrichen. Ein Tohuwabohu aus szenischen Einfällen begleitet diese Instant-Fassung der Oper, die ob der in schier barocker Überfülle dazuerfundenen Nebenhandlungen dann doch auf satte drei Stunden Netto-Spielzeit kommt. Um deren Handlung mitzubekommen, muss man die Oper schon einigermaßen gut kennen. Die Wiederekennungseffekte halten sich in Grenzen.

Freilich ist Milo Rau ein routinierter Theatermann, der weiß, wie man Eindruck schindet. Manche Szene rührt sogar ans Herz, wenn beispielsweise der von Vitellia zum Anschlag auf Titus veführte Sesto in einem plötzlichen Anfall von Reue dem halbnackt daliegenden Kaiser in den Pullover hilft. Es sind Dutzende wohlmeinend erdachte und sorgsam durchgezeichnete Ideen. Jede der Bühnenfiguren (auch die Komparserie) hat ihre Charakteristika und Individualitäten verpasst bekommen. Aber alles überlagert sich und konkurriert sich selbst.

Und das ist auch der beinharte Didaktiker Milo Rau, der oberlehrerhaft Infos zur Werkgeschichte einblenden lässt. Der Regisseur hat sich für einzelne Episoden jeweils ein vom Tempo der Musik ausgehendes Motto ausgedacht: „Allegro – Phänomenologie der Toleranz“ heißt es da so recht pfiffig, oder „Allegretto – Der Schmerz der anderen“. Es hat alles seine Ordnung, auch wenn's haarscharf an der Platitude anstreift. Die schlimmsten, zur Musik kontraproduktivsten Viertelstunden sind jene, wenn die Protagonisten ihre letzten großen, hoch emotionalen Arien singen und man dazu in läppischen Kurzfilmchen mit biographischen Notizen zu den Protagonisten abgefüttert wird. Schwerer kann man es der Musik nicht machen. Und generell wird dem Publikum an dem Abend ein beinah unmenschliches Maß an Empathie mit den vermeintlich Geschundenen abverlangt. Die stellen sich freilich dann doch eher als ein kunst-affines Völkchen aus Überlebenskünstlern heraus. Da fällt Mitleid beinah schwer.

Wie auch immer, Mozart überlebt. Arschknapp, aber doch. Das liegt an der Qualität der Musik selbst und an dem, was Thomas Hengelbrock am Pult der Camerata Salzburg aus diesem letzten musikdramatischen Werk Mozarts herausholt. Es ist ein ganz ungewohnter, präzis-trockener Camerata-Sound. Der extrem verschlankte, auf Lineament getrimmter Klang, natürlich ohne jedes Vibrato, macht dem durchaus nicht mit luxuriösen Stimmen, aber solide und ebenmäßig besetzten Sängerensemble das (Über)leben leicht. Auch wenn das Bühnengeschehen wuchert, wie mit pseudointellektuellem Kunstdünger hochgezüchtet und der dramaturgische Atem mehrmals vollends versandet.

Niemand muss forcieren. Jeremy Ovenden ist ein Titus, dem man das Zögerliche, das Zauder, die Ohnmacht jederzeit abnimmt, der aber zugleich mit sicheren Höhen und in den Lagen ebenmäßigem Timbre besticht. Nichts zu mäkeln am Sesto von Anna Goryachova, an der Vitellia von Anna Malesza-Kutny, an Maria Warenberg (Annio) und Sarah Yang (Servilia). Auch für die Verzierungen hat Thomas Hengelbrock mit dem Ensemble akkurat gearbeitet. Der Arnold Schoenberg Chor macht seine Sache gut. All die musikalischen Bonitäten wurden in der von uns besuchten zweiten Aufführung vom Publikum herzlich gewürdigt. Aber man ging aus der Aufführung mit dem innigen Wunsch, Oper doch wieder einem Opernregisseur zu überlassen und sie nicht einem missionseifrigen Stückezertrümmerer auszuliefern.

Weitere Aufführungen am 24. und 25. Mai im Museumsquartier, Halle E – www.festwochen.at
Bilder: Wiener Festwochen / Nurith Wagner-Strauss
 

 

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