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Der Jude wird nicht verbrannt

LINZ / OPER / LA JUIVE

14/03/24 Die Stimmung ist aufgeheizt, wird doch die christliche Feiertagsruhe von den (denkbar leisen) Werkstattgeräuschen eines jüdischen Goldschmieds gestört. Grund genug, diesen mit dem Tod zu bedrohen. – Im Linzer Musiktheater spielt man La Juive von Fromental Halévy.

Von Reinhard Kriechbaum

Natürlich fällt einem zu der Geschichte sofort Nathan der Weise ein. Auch Éléazar, der jüdische Goldschmied in der erzkatholischen Konzilsstadt Konstanz, hat ein christliches Kleinkind gerettet und in der mosaischen Religion großgezogen. Damit endet aber auch schon die Geistesverwandtschaft der beiden Stücke. „Unter stummer Wiederholung allseitiger Umarmungen fällt der Vorhang“, ist die letzte Regieanweisung bei Lessing – in der Oper La Juive von Fromental Halévy stehen am Ende nicht Toleranz und Versöhnung, sondern die züngelnden Flammen. Dass Rachel (so heißt die junge Dame) auf dem Scheiterhaufen endet, liegt natürlich am judenfeindlichen gesellschaftlichen Umfeld. Aber zu einem nicht unwesentlichen Grad auch an Éléazar selbst, der eben kein weiser Nathan ist. Er wurde, durch persönliche Schicksalsschläge verhärmt, zum unversöhnlichen Christenhasser, ähnelt also viel mehr dem Shylock aus Shakespeares Kaufmann von Venedig.

„Der Jude wird verbrannt“, versichert der Kirchenmann im Nathan. In der ein gutes halbes Jahrhundert jüngeren, 1835 uraufgeführten französischen Grand Opéra dräut Éléazar und seiner Tochter der Scheiterhaufen schon im ersten Akt gleich zwei Mal. Aber immerhin ist es der Kardinal Brogni, der das Volk einmal zur Mäßigung ruft. Das zweite Mal rettet der junge Reichsfürst Léopold die Situation. Der unterhält nämlich eine heimliche Liebschaft zu Rachel, bei der er sich als Jude ausgegeben hat. Beim Sedermahl im Hause des Éléazar lässt er dann doch das ungesäuerte Brot unauffällig unter den Tisch fallen, was Rachel beobachtet. So fliegt Léopold als Christ auf, die interreligiöse Mesalliance wird öffentlich und die Tragödie nimmt ihren Lauf. Eigentlich sähe die unbarmherzige Etikette den Flammentod beider Liebender vor, aber der Katholik Léopold wird von Seinesgleichen elegant aus dem Schussfeld genommen. Er kommt im Schlussakt der Oper gar nicht mehr vor – eine Pikanterie im Libretto von Eugène Scribe.

La Juive ist eine Oper, deren deren Markenzeichen die großen Gefühle und die große Melodie sind. Ein betörendes Werk, in dem alle Protagonisten ordentlich durch die Seelenmangel gedreht werden. Éléazar opfert am Ende lieber Rachel, als dass er dem Erzfeind Kardinal Brogni verriete, dass die junge Dame eigentlich dessen Tochter ist. Und besonders fies: Éléazar manipuliert Rachel durch hinterhältig-manipulatives Fragen so, dass diese sich selbst für den Flammentod entscheidet.

Eine spannende Geschichte jedenfalls, neben Meyerbeers Hugenotten die zweite Grand Opéra jüdischer Provenienz. Auch Fromental Halévy hatte ja jüdisch-deutsche Vorfahren (da hieß die Familie Levi). La Juive sagt viel aus über latenten Antisemitismus, der auch im liberalen Frankreich des 19. Jahrhunderts durchschlug.

In Linz bereitet man mit diesem Stück jetzt ein Respekt gebietendes Sängerfest. Matjaž Stopinšek ist Éléazar, ein beeindruckend flexibler Tenor, der dem rabenschwarzen Bass von Dominik Nekel (Kardinal Brogni) aggressiv kontert, aber auch ganz wundersam weiche Töne bereit hält, wenn er die Sippschaft zur häuslichen Andacht lädt. Die Optionen zur Seelen-Differenzierung zeichnen dieses Werk ja besonders aus. Erica Eloff ist Rachel, hin und her gerissen zwischen Respekt vor dem Vater und der jüdischen Religion einerseits, dem katholischen Liebhaber andrerseits. Diese Gefühlswirbel fasst die Sängerin beeindruckend, man kann greifen, wie diese Figur nach Fassung ringt. Ihr Verehrer Léopold (der höhensichere Tenor SeungJick Kim) ist zu allem Überfluss auch verheiratet, Ilona Revolskaja gibt der Prinzessin Eudoxie kühle Ausstrahlung. Sängerische Klasse auch in den kleineren Rollen. Yannis Pouspourikas kostet mit dem Brucknerorchester die opulente Lyrik aus und hat punktgenau die dramatische Verdichtung im Griff.

Marc Adam hat Regie geführt, und es gelang ihm, die schier überbordenden Emotionen in ein aussagekräftiges Kammerspiel überzuführen. Das Bühnenbild (Dieter Richter) ist eigentlich nur eine Blackbox, deutet mit einer Rosette nur an, dass einige Szenen vor bzw. in der Kirche spielen. In diesem Raum setzt die Inszenierung auf genaue Gesten (oft solche der Hilflosigkeit). Die Kostüme sind heutig-zeitlos. In einer Szene tritt der musikalisch sehr präsente Chor als Schar von Protestierenden auf. Sie halten Tafeln mit ausländerfeindlichen Aufschriften in Deutsch, polnisch, Ungarisch. Eine Gesellschaft, so dogmatisch verbohrt und nationalistisch voreingenommen wie die Protagonisten der Oper. Das Libretto sähe vor, dass auch Éléazar auf dem Scheiterhaufen endet. Hier senkt sich hinter ihm der Eiserne Vorhang, und er bleibt übrig: Der Antisemitismus wird wohl so weiter gehen wie Hass als Reaktion darauf. La Juive ist leider aktueller denn je.

Aufführungen bis 26. Juni im Linzer Musiktheater – www.landestheater-linz.at
Bilder: Landestheater Linz / Reinhard Winkler

 

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