Alles wie am Schnürchen – und wie zu erwarten
WIEN / JAMES BROWN TRUG LOCKENWICKLER
19/02/24 Die österreichische Erstaufführung von Yasmina Rezas James Brown trug Lockenwickler in der Regie der Josefstadt-Schauspielerin Sandra Cervik deckt die Schwächen des Stücks auf.
Von Reinhard Kriechbaum
„Keiner der beiden lässt sich von der Biologie einschüchtern“, befindet die Psychiaterin. Jacob nicht, der von früher Kindheit an besessen ist von Céline Dion. Er ist aus dem Rollenspiel vollends in die neue Identität hineingeglitten: Er ist jetzt Céline Dion. Der zweite, der seiner Biologie ein Bein stellt, ist Philippe: ein Weißer, der sich als Schwarzer definiert. Zwei solche passen so ganz und gar nicht in jene sich in Biedersinn kleidende Gesellschaft der vermeintlich „Normaldenkenden“, die Yasmina Reza in ihren Stücken gerne ins eigene Messer rennen lässt. Die beiden jungen Leute befinden sich nun in einer „Anstalt“.
Fluide Geschlechtsidentität und kulturelle Aneignung. Das schürt Erwartungshaltungen, die Yasmina Reza in ihrem jüngsten Theaterstück nicht einlöst. Nicht zufällig haben so gut wie alle Rezensenten der deutschsprachigen Erstaufführung im März 2023 im Münchner Residenztheater ganz viel über die surreal überhöhende Regie von Philipp Stölzl geschrieben und sich eher nicht die spitzte Feder verbrannt, was Rezas Theatertext selbst anlangt. Der gleitet nämlich geschmeidig durch alle Kurven und verweigert sich ganz und gar den Ecken und Kanten gesellschaftlichen, gar gesellschaftspolitischen Diskurses.
Was gäbe das her, würden der aktuelle Stand von politischer Korrektheit und Wokeness mitverhandelt. „James Brown trug Lockenwickler“reduziert die vermeintliche „Malaise“ des geschlechtsverirrten jungen Mannes auf die Enttäuschung der Eltern. Viel routiniertes Dialog-Handwerk, weitgehend ohne subkutane Angriffigkeit. Auf das Defizitäre im Text wird man mit der Nase gestoßen, weil in den Kammerspielen des Theaters in der Josefstadt eine Schauspielerin Regie führt, die weniger die inhaltliche Perspektive interessiert, sondern die humoristische Wirkkraft. Sandra Cervik tut alles, um ihre josefstädtischen Ensemble-Kollegen komödiantisch auftrumpfen zu lassen.
Es dürfen also Maria Köstlinger und Juergen Maurer alle Klischees eines verklemmten, mit der Situation überfordernden Elternpaars auskosten. Mal überdreht, mal zornig, mal anpässlerisch, mal trotzig. Alles kommt wie am Schnürchen – und wie zu erwarten. Selten so seicht gelacht. Alexandra Krismer ist die Psychiaterin. Das wäre jene Figur, die in ihrer dadaistischen Unberechenbarkeit zum Katalysator des Diskurses werden könnte. Hier steht sie, auf Knallcharge getrimmt, auf ziemlich verlorenem Posten.
Julian Valerio Rehrl schaut als Jacob/Céline verträumt in den Himmel. Der azurblaue Hosenanzug, der mantelartige Umhang, das Tuch – er ist von oben bis unten ganz auf Céline Dion eingestellt.
Schön herausgearbeitet ist das zärtliche Verhältnis der beiden Freunde. Auch Philippe (Dominic Oley) wird sich nicht von seinem einmal eingeschlagenen Weg abbringen lassen. Rührend, wie die beiden die exotische, nur in eine Richtung wachsende Pflanze (Achtung, Metapher!) hätscheln.
Bühnenbildnerin Sabine Freude hat einen weißen Raum beigestellt, der an eine Gummizelle denken lässt. So gefährlich ist Céline Dion im falschen Körper? Jacob/Céline ist immer anwesend, wird von den Eltern die meiste Zeit nicht wahrgenommen. Anschaulich: Sie wollen ihn ja nicht sehen. Immer wieder nähert er sich Vater und Mutter an, verstohlen um ein wenig Aufmerksamkeit, um liebevolle Zuwendung heischend. Das sind einige berührende Momente.