Picknick in der Unterwelt
REST DER WELT / STYRIARTE / ORFEO ED EURIDICE
23/07/10 Keine Sorge, dass mit dem Eintritt ins antike Jenseits den dortigen Schattenexistenzen auch die sexuelle Lust und damit der Sinn für Liebe und Treue abhanden kommen. Hör und schau nach in der Oper "Orfeo ed Euridice" von Johann Joseph Fux.
Von Reinhard Kriechbaum
Da treffen sie also in der Unterwelt alle wieder zusammen: Euridice und der blöde Aristeo zuerst, dessen Testosteronspiegel auch im Jenseits deutlich erhöht ist. Die über den Tod hinaus treue Euridice muss sich seiner Zudringlichkeit heftig wehren. Beinah mag Euridice bei der netten unterweltlichen Erstbegegnung, einem fröhlichen Picknick, ihrem Orfeo nicht glauben, wenn er ihr berichtet, dass er keineswegs durch Selbstentleibung, sondern als Lebendiger mit Hilfe der Musik ins Totenreich gekommen ist. Pluto, der römische Unterwelts-Herrscher, hat freilich auch ein Auge auf Euridice geworfen. Seine Frau Proserpina ist darob not amused. Amor aber ist glücklicherweise zur Stelle, und er sorgt hier nicht für Verwirrung, sondern dafür, dass die richtigen Paare zusammen kommen oder zusammen bleiben: "Willst Du lieben, liebe Deine Gattin", muss sich Pluto anhören. Amor als Spielverderber.
Johann Joseph Fux' Oper, 1715 in Wien uraufgeführt, ist ein Einakter (freilich ein solcher von gefühlten zweieinhalb Tagen Dauer). Er endet mit Orfeos und Euridices Aufbruch. Kein fatales Zurückschauen also.
Der Text ist eine Liebenswürdigkeit sondergleichen: Wie da alle ihre sexuellen Gefühle mit Bienchen, Vögelchen und Blümchen, also mit Bildern aus der einschlägig vorbelasteten Fauna und Flora ausdrücken - das macht die Sache zu einer tönenden Aufklärungsfibel für Volksschulkinder.
Tolle Musik für aufrichtige, intensiv gelebte Gefühle. Fux hat sein Handwerk verstanden. Am Cellisten der Hofkapelle muss der Komponist einen Narren gefressen haben, so viele obligate Cellostimmen von höchstem Anspruch finden sich in der Partitur. Eine Besonderheit: Wenn Orfeo in einer Arie erzählt, wie er mit Musik die Grenze ins Jenseits überschritten hat, wird er von der Traversflöte und dem eigenwilligen Chalumeau, einer sanftmütigen Ur-Klarinette, begleitet. Das Instrument kommt nur in der österreichischen Barockoper vor, und da nur zwei Jahrzehnte lang im frühen 18. Jahrhundert.
Was steckte da also nicht alles drin in dieser Oper, und wie kurzweilig hätte der Abend werden können, wäre die Aufführung bloß fertig geworden! Jordi Savall am Pult des Concert de Nations, eine Schar stilkundiger Sänger, der bestens präparierte Arnold Schoenberg Chor: Theoretisch hätte alles gepasst, wenn die Premiere (Donnerstag, 22.7.) nicht so fatal nach erster Verständigungsprobe geklungen hätte. Da ist einfach nichts weitergegangen, jeder Arie hat tempomäßig erst mehrere Takte zur Konsolidierung gebraucht. Jordi Savall war als Dirigent mit dem flexiblen Begleiten oder gar Führen der Sänger einfach überfordert. Das war, mit Verlaub, Notenstochern auf höchster Ebene.
Als "semiszenisch" war die Aufführung angekündigt, in der Regie von Thomas Höft wurde es dann doch auf schlichter Prospekt-Bühne ein hübsches, anschauliches Kammerspiel. Anna Kasyan ist eine Euridice mit fülliger Stimme, Roberta Mameli ein Proserpina mit bestens fokussierte Mezzo. Der Altus Pascal Bertin als Orfeo hatte deutliche Schwierigkeiten in dem sänger-unfreundlichen Umfeld. Furio Zanasi (Plutone) hat in einer Arie mit zwei Fagottisten Effekt gemacht, aber auch das hätte man erst durcharbeiten müssen. Makoto Sakurada (Aristeo), Magdalena Podkoscielna (Amore) - mit all denen hätte ein ordentlicher Kapellmeister eine musikalisch ohne Zweifel lohnende Opernwiedererweckung zustande gebracht.