Sehnsucht nach dem Menschsein
THEATER AN DER WIEN / RUSALKA
25/09/19 Das Theater an der Wien eröffnete die neue Saison mit Dvořáks Nixen-Tragödie Rusalka. Amélie Niermeyer deutet das lyrische Märchen surrealistisch. Mehrheitlich Zustimmung gab es für die Protagonisten und das von David Afkham geleitete ORF Radio-Symphonieorchester.
Von Oliver Schneider
In einem weiß betonierten Innenhof mit Einfahrt, Garagentor und einer Treppe, die nicht nur in einen weiteren Raum im Obergeschoss führt, sondern auch einen Ausblick auf einen nahen Wald gibt, bettelt eine junge Frau ihren Vater an, ihr die Liebe zu einem Mann aus einer anderen Gesellschaft nicht zu verbieten. Schweren Herzens lässt der Vater sein Kind in eine fremde Welt ziehen, aus der sie bitter enttäuscht zurückkehrt. Es ist die seelenlose Nymphe Rusalka, die sich in einen Prinzen verliebt, der jedoch mit ihrer kalten Liebe nichts anfangen kann und sie mit der heißblütigen fremden Fürstin betrügt. Rusalka muss zurück zu den Ihrigen, während der Prinz dem Wahnsinn verfällt, von der falschen Fürstin verstossen wird und schließlich an einem Todeskuss Rusalkas stirbt.
Amélie Niermeyer, die am Salzburger Mozarteum Regie unterrichtet und im Februar 2020 an der Wiener Staatsoper noch Ludwig van Beethovens Leonore inszenieren wird, versetzt das auf dem Symbolismus von Maurice Maeterlinck beruhende Libretto von Jaroslav Kvapils in ein zeitloses Umfeld. In Christian Schmidts Einheitsbühnenbild mit einem Schwimmbad in den ersten beiden Akten als Symbol für die Welt des Wassermanns und der Nixen, gehen die Welten der Menschen und Feenwesen ineinander über. Videos von Jan Speckenbach aus der Unterwasserperspektive, mit von Blut überzogenen Körpern oder der bedrohlichen – in Schwarz gekleideten – Festgesellschaft im zweiten Akt unterstützen das Geheimnisvolle im Werk.
Der Förster und der Küchenjunge, sein Neffe (gut Markus Butter und Juliette Mars) überraschen den Prinzen im Adamskostüm mit seiner stummen Geliebten nach der Liebesnacht und betrachten gemeinsam mit den Höflingen mitleidig die junge Frau. So sehr sie den Prinzen Rusalka fasziniert, so sehr fühlt er sich auch von ihr unverstanden: Das bringt der tschechische Tenor Ladislav Elgr kongenial mit seiner Körpersprache zum Ausdruck. Weniger glücklich wurde man bei der Premiere am Samstag (21.9.) mit seiner stimmlichen Leistung. Der in der Mittellage schön ansprechende Tenor Ladislav Elgrs verliert in den dramatischen Höhen im ersten und dritten Akt leider an Fokus. Wie ein innig Liebender wirkt dieser Prinz in jedem Fall nicht. Auf die unschuldig-weltfremde Rusalka muss sein abweisendes, auf rein Körperliches fixiertes Verhalten genauso bedrohlich wirken, wie der sich im zweiten (und dritten) Akt herabsenkende überdimensionierte Kronleuchter.
Die seelenlose Rusalka, die ihre Zuneigung zum Prinzen nicht zeigen kann, muss mitanhören, wie die Höflinge abfällig über sie reden. Maria Bengtsson in der Titelrolle gelingt es, zunehmende Furcht in der fremden Welt zu zeigen. Gegen die wilde Leidenschaft der fremden Fürstin, die den Prinzen nur zum Spiel für sich erobern und Rusalka verletzen will, hat die schüchterne Rusalka keine Chance: Das zeigt Amelie Niermeyers Idee, die beiden Frauen nebeneinander im Bett liegend zu zeigen, überzeugend. Bengtsson führt ihren beweglichen, höhenstarken Sopran sensibel zwischen den lyrischen und dramatischen Momenten, wohingegen Kate Aldrichs Mezzosopran passend hart für die fremde Fürstin und vor allem düster glühend klingt. Der nach Liebe lechzende Prinz kann sich dem überschäumenden Temperament dieser Fürstin nicht widersetzen.
Natascha Petrinskys Hexe ist stimmlich markdurchdringend grell. Während sie im ersten Akt mit ihrem Hokuspokus noch märchenhafte Züge trägt, wird sie im dritten Akt dank rot-violetter Lichteffekte zu einer Art Bordellbesitzerin. Da werden Erinnerungen an Jossi Wielers und Sergio Morabitos Rusalka bei den Salzburger Festspielen 2008 wach. Schon in Salzburg dabei war Günther Groissböck, der heute ein noch imposanterer stimmgewaltigerer Wassermann ist und vergeblich versucht, Rusalka vor ihrem Verderben zu schützen. Er betont in der gespaltenen Figur des Wassermanns mehr die beschützende als die bedrohliche Charakterseite.
David Afkham, der 2010 der erste Preisträger des Young Conductors Award bei den Salzburger Festspielen war, und das ORF Radio-Symphonieorchester Wien heben die zwischentonreichen Klangwelten der Naturwesen und der Menschen wunderbar klar voneinander ab. Ebenso wichtig ist es für Afkham, die nicht nur szenisch augenfälligen Einflüsse Richard Wagners hörbar zu machen. Einmal mehr gut vorbereitet war der Arnold Schoenberg Chor.