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In der Seelenmetzgerei für Wutbürger

WIEN / VOLKSTHEATER / DIE MEROWINGER

12/09/19 Gut, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit die überwiegende Mehrheit im Publikum Heimito von Doderers Die Merowinger nicht gelesen hat. Man kann ihnen also gut das erzählen, was Franzobel als Text-Überschreiber und Anna Badora als Regisseurin im Wiener Volkstheater herauslesen.

Von Reinhard Kriechbaum

„Ich bin das Überschreiten aller Grenzen“, sagt Childerich III. von sich. Er ist der Letzte der Merowinger, jedenfalls der Letzte seines Stammes, der noch Manns genug zur Fortpflanzung war. Der Stamm: Damit ist's nicht ganz so weit her wie mit den großzügig Generationen deckenden Körperflüssigkeiten des Familien-Egomanen. Childerich III. heißt ja doch nur Bartenbruch. Freiherr von Bartenbruch wenigstens. Aber es gibt Leute, die am Ursprung der Sippschaft – ein Stier soll beteiligt gewesen sein – Zweifel hegen und ein unrechtmäßiges Plagiat aus der griechischen Mythologie argwöhnen.

Aber was schert das Childerich, den Grenzüberschreiter? Es ist ganz leicht und wäre möglicherweise im Sinne Heimito von Doderers, in ihm einen Vorfahren heutiger Populisten zu sehen. In seiner totalen Familie (so der Untertitel des 1962 erschienenen Romans Die Merowringer) hat er das Totale längst umgesetzt, ist durch gerissene Heiratspolitik sein eigener Vater, Großvater, Schwiegervater und Schwiegersohn geworden. Eine Bettkarriere, die Verwirrung, aber auch Autorität stiftet. „Ich bin der Urknall und die Apokalypse“, trompetet er hinaus. Im Stück und nicht im Roman, wohlgemerkt.

Das ist nur ein Strang in Buch und Stück. Ein anderer ist jener um den Psychiater Doktor Horn. Er heilt ausgeklinkte Zeitgenossen – Wutbürger ist eine heutige Wortkrücke für Leute dieses (Un)Bewusstseinszustandes – mit eigenwilligen Methoden körperlicher Züchtigung. Jedenfalls gibt er Heilung als Ziel vor. Und dann ist da die mehr als dubiose Geheim-Firma Hulesch & Quenzel. Sie handelt geschäftsmäßig mit Produkten und Vorgängen, die der Verschleierung, der Tatsachenverdrehung, jedenfalls dem Schaden welcher Klientel auch immer dient.

Kurz: Wir haben es in Doderers, von Franzobel überschriebenem, haarsträubend skurrilem Text mit einer Gemenelage von Verneblern und Tatsachenverdrehern zu tun, hinter denen man leicht die Trumps und Johnsons dieser Welt, im österreichischen Kleinformat sogar noch die Kurzs und Straches ausnehmen kann. Und sehr praktisch: Doderer, ein Nationalsozialist der ersten Stunde (der sich freilich schnell selbst von dem Wahn läuterte), hat an seinem Lebensabend nicht nur seinen Roman „Die Dämonen“ durch Umarbeitung quasi entnazifiziert, sondern auch in den gleichzeitig entstandenen „Merowingern“ immer wieder anklingen lassen, wie die Wut gegen das verlogene Establishment unversehens faschistoide Züge annehmen kann.

Franzobel also hat für die nun in Wien uraufgeführte szenische Fassung konsequent und direkt in diese Richtung gearbeitet, überhöht, weiter gedacht und heutig formuliert. Dies im Schulterschluss mit Volkstheater-Chefin Anna Badora als Regisseurin. Gemeinsam haben sie, quasi als selbsternannte Vorbilder in Sachen sauberen Denkens auf dem Theater, doch recht massiv eingegriffen in Doderers erzählerischen Duktus. Was wäre dem Schriftsteller ferner gelegen als political correctness! Seine rotzfreche, destruktive Erzähllust (das Erfolgsrezept, das den Roman einst zum Bestseller machte) ist der Bühnenfassung weitgehend ausgetrieben. Sie kommt brav und reichlich gedankenschwer daher. Szene um Szene bekommt man die Moral von der Geschicht' eingebläut, die sich ohnedies wie aufgelegt erschließt.

Peter Fasching ist Childerich III., Populistenkönig von der traurigen Gestalt. Seine Auftritte absolviert er auf einer wie in Unordnung geratenen Showtreppe. Seine verstorbenen Ehefrauen kommen als Untote daher, ihr Erscheinen würde sogar einem Fachmann für letale Ehen vom Format eines Herzog Blaubart zu schaffen machen. Die Selbstgewissheit in Person spiegelt Thomas Frank als Doktor Horn, der Seelenmetzger der Wutbürger. Duckmäuserisch-gefährlich wirkt Michael Abendroth als Zilek, Undercover-Agent des Nebelgranaten-Unternehmens Hulesch & Quenzel: „Wir können, wir werden, wir machen, wir tun“, sagt er immer wieder kryptisch. „Da spricht Schwester Helga (Julia Kreusch), die Assistentin des Doktor Horn, schon eher Klartext, und der Hausmeier Pippin (Günter Franzmeier) geriert sich sowieso als ein politischer Hellseher, wenn er die Achillesferse des Volkes beschreibt: „Wer wütend ist, ist schwach.“

Als Alter ego Heimito von Doderers ist der Schriftsteller Döblinger gezeichnet, der in einem Deus-ex-machina-Finale als derjenige aufgedeckt wird, der sich all die Personen und ihre Machenschaften bloß ausgedacht hat. Das wäre ein pfiffiger, einigermaßen pointierter Schluss gewesen, aber da holen Franzobel und Anna Badora nochmal mächtig aus. Sie setzen an zu einer Parabel darüber, dass der Mensch von Populisten belogen und also geschlagen sein will. Da ist alle Luft draußen und die Sache wird zum knochentrockenen Lehrstück. Dem nur maßvoll begeisterten Beifall nach zu schließen haben das so manche im Publikum gleich gesehen.

Aufführungen bis 28. Dezember, weitere Termine in Planung – www.volkstheater.at
Bilder: Volkstheater / www.lupispuma.com

 

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