Drei Tage jüdisches Wien
STADT WIEN / ISRAELITISCHE KULTUSGEMEINDE
26/04/2019 Sigmund Freud, Alfred Adler, Viktor Frankl, Arnold Schönberg, Gustav Mahler – unterschiedliche Meister unterschiedlicher Künste. Aber zwei Dinge verknüpfen sie alle: Wien und das Judentum. Über das jüdische Leben in Wien der Vergangenheit informiert der neue „Info Point Jewish Vienna“.
Von Franz Jäger-Waldau
Die jüdische Gemeinde Wiens war seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine der größten und bedeutendsten Gemeinden in Europa. Ihre Mitglieder prägten maßgeblich Wissenschaft, Kunst und Literatur. Im Jahr 1923 lebten in Wien noch über 200.000 Juden, das waren 10,8 Prozent der Stadtbevölkerung. Die Zahl nahm gegen Beginn des dräuenden Zweiten Weltkriegs hin stark ab. Im März 1938 sind es nur noch die unglücklichen Übriggebliebenen, die die Straßen in Zwangsarbeit von der anti-großdeutschen Propaganda der Gegner säubern müssen: „Österreich“ soll dort verschwinden.
Nach den dunklen Vergangenheit präsentiert die Gegenwart wieder ein aktives, junges jüdisches Leben in Wien: „Im Zentrum der Hauptstadt werden ab sofort Informationen über das jüdische Wien gebündelt angeboten“, sagt Claudia Prutscher, Vizepräsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, anlässlich der Eröffnung des „Info Point Jewish Vienna“. An dieser neugeschaffenen Informationsquelle, die die Israelitische Kultusgemeinde mit Unterstützung der Stadt Wien geschaffen hat, erhalten Besucher mehrsprachige Informationen rund um das jüdische Leben einst und heute. IKG-Präsident Oskar Deutsch: „Es soll sowohl einen Treffpunkt für die Gemeindemitglieder, alle Wienerinnen und Wiener als auch für Gäste aus aller Welt sein.
Hier gibt es Informationen über jüdisches Leben in Österreich seit dem Mittelalter bis heute.“ Und Norbert Kettner, Direktor von WienTourismus fügt hinzu: „Nur wenige europäische Metropolen sind so eng mit der jüdischen Geschichte verbunden wie Wien. Wien – heute mehr denn je eine Stadt des Miteinanders – und der WienTourismus nehmen mit der Darstellung aller Facetten der Geschichte und Gegenwart des Judentums in der Stadt gesellschaftliche Verantwortung wahr.“
Der „Info Point Jewish Vienna“ ist seit 1. April Ausgangspunkt für ein drei Tage umfassendes Programm von Führungen durch das jüdische Wien: Der erste Tag beginnt beim Wiener Stadttempel, dem einzigen Tempel, der die Pogrome nach dem Anschluss überstanden hat und heute das Herzstück aktiven jüdischen Lebens in Wien erhalten ist. Auf dem Wiener Judenplatz war die erste jüdische Gemeinde im Mittelalter angesiedelt. Heute steht dort das Shoah-Mahnmal, geschaffen von der britischen Künstlerin Rachel Whiteread. Am zweiten Tag dringt die Führung in die alte Leopoldstadt vor, die sogenannte „Mazzesinsel“. Der Bezirk wies bis 1938 einen sehr hohen Anteil an jüdischen Bewohnern auf, erst heute blüht dort erneut jüdisches Leben auf: Koshere Geschäfte und Restaurants, jüdische Kaffeehäuser und diverse jüdische Institutionen. Am dritten Tag schließt die Führung den Kreis auf der Ringstraße mit ihren unzähligen jüdischen Palais. Dort lebten sogar über die schwierigsten Etappen hindurch etwa die Mitglieder der sogenannten „Hofjuden“ und „tolerierten Juden“ Wiens. Neben dieser ausgedehnten Kulturwanderung durch Wien vergibt der „Info Point Jewish Vienna“ aber auch Broschüren und Auskunft über kulturelle Veranstaltungen und nicht zuletzt koschere Kochkurse. Der Info Point befindet sich in einer der jüdischen Buchhandlungen Wiens, dem Bookshop Singer im 1. Wiener Gemeindebezirk.