Ins Land der Liebe und der Sanftmütigkeit
GRAZ / KÖNIG ROGER
03/04/19 König Roger II: Als historische Figur war er ein Herrscher, der unterschiedliche Ethnien und religiöse Ideologien für die damalige Zeit – das 12. Jahrhundert – bestmöglich integriert hat. Ein sizilianischer Alfonso el Sabio. Karol Szymanowski hat ihn zur Hauptfigur seiner symbolistischen Oper Król Roger gemacht.
Von Reinhard Kriechbaum
Im Grazer Opernhaus ist das selten aufgeführte Werk (1998 konzertant bei den Salzburger Festspielen, 2009 szenisch bei den Bregenzer Festspielen) nun zu sehen, in einer in ihrer Bilderfindung strengen und doch bezwingend dichten Inszenierung durch Holger Müller-Brandes. Da steht König Roger also vor einer Situation wie einst der Thebenkönig Pentheus, in dessen Reich der Gott Dionysos mit Urgewalt eingebrochen ist (Die Bakchen des Euripides). Der Widersacher von Roger kommt viel leiser daher, der Hang zum Bacchanal ist ihm nicht in die Augen geschrieben. In denen glänzen eher die Sterne. Das Lächeln, die Sanftheit – das sind die Begriffe, die der polnische Komponist Karol Szymanowski (1882 bis 1937) und sein Mitarbeiter als Librettist Jaroslaw Iwaszkiewicz dem „Hirten“ zugeschrieben haben.
Während die Christen – also die Vertreter eigentlich des „guten Hirten“ – die Bestrafung des religiösen Unruhestifters einfordern, setzt dieser gutmütige Störefried tatsächlich auf Liebe, auf Sanftmütigkeit. Eine Chance für die Beziehung zwischen König Roger und seiner Frau Roxane? Vom „angstvollen Gespenst erloschener Leidenschaften“ ist im Libretto die Rede. Im Symbolismus à la Szymanovski geht es aber zuerst um Selbstfindung, und bevor eine Art neues Zeitalter der Friedfertigkeit (heute würden Psychologen vielleicht von Aufmerksamkeit oder Empathie sprechen) erreicht wird, darf der Hirte nicht nur Roxane mit sich nehmen. Auch Roger, der männliche Mensch, will (homoerotisch) angesprochen und überzeugt werden.
Das Bild, das der Regisseur Holger Müller-Brandes dazu findet, könnte einem Theologen eingefallen sein: Wie im Tod versinkt der alte Mensch im Mulchboden der Bühne, um dann wieder aufzu(er)stehen. Im übrigen ist man bei König Roger allemal gut beraten, nicht vordergründig die Interpretationskeule zu schwingen. Die Stärke der Grazer Inszenierung ist gerade ihre Kargheit. Sie bleibt in zeitlicher Unkonkretheit. Ein Kreuz, eine brunnenartige Vertiefung im güldenen Bühnenboden: alles minimalistisch. Aber bildwirksam. Umso genauer die Personenführung. Der beinah verzweifelte, erfolglose Versuch von Roger und Roxane, sich an den Händen zu fassen, ein Beinahe-Zusammenverlieren und Verlieren...
Ein wesentliches Element der Inszenierung ist das Ballett, das in der Choreographie von Bate Vollack für die Begleiterinnen und Begleiter des Hirten steht: Friedfertigkeit, Liebe, dann doch entschiedene Ausbrüche ins Dionysische. Das ist unprätentiös, ohne jede Plattheit umgesetzt.
Karol Szymanowskis Tonsprache will erst gebändigt sein, in ihrem aufrauschenden Applomb, ihrer spätimpressionistischen Klangskala. Es geht auch in der Musik oft ums Tableau, entsprechend wichtig ist der breite, zum Orchester perfekt ausgelotete Chorklang (Einstudierung: Bernhard Schneider). Roland Kluttig, der designierte Grazer Opernchef (Oksana Lyniv bleibt nur noch kommende Saison), hält das Orchester, den Chor und die ob der Opulenz durchaus geforderten Solisten in schönster Balance, arbeitet Instrumentationsdetails heraus, ohne eben die Musik-Tableus als Ganzes aus dem Auge zu verlieren. Die Besetzung in der von uns besuchten Aufführung: Valdis Jansons (Roger), Aurelia Florian (Roxane), Andrzej Lampert (Der Hirte), Manuel von Senden (des Königs Ratgeber Edrisi). Eine Balance auch da, die sich wie von selbst einzustellen schien.