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Zum Kieberer-Versteher werden

GRAZ / SCHAUSPIELHAUS / POLIZEI GRAZ

19/04/18 Da sitzen, liegen, lümmeln sie, räkeln sie sich in ihren Sitzsäcken und chillen out vom täglichen Chill out: Die Belegschaft einer Polizeiwachstube macht gemeinsam Urlaub in Thailand. - Das Theater im Bahnhof und das Schauspielhaus Graz zeigen, wie die Bullen ticken.

Von Reinhard Kriechbaum

Jeden Abend grüßt das Murmeltier. „Haare föhnen hat keinen Sinn bei der Luftfeuchtigkeit“, ist ein Stehsatz von Robert, dem Postenkommandanten, der sich immer irgendwie abseits hält und von den anderen verstohlen beäugt wird: Nicht, weil er der Chef, sondern weil er Single ist. Die anderen urlauben in Paar-Konstellation. Wie Robert sein Alleinsein wegsteckt, ist den anderen immer wieder eine besorgte Frage wert.

Noch etwas abseitiger: eine Frau im grauen Trainingsanzug, auf die man sich in den ersten Minuten keinen rechten Reim macht. Aber es stellt sich rasch heraus, dass es ein singendes und Stichworte bringendes Gespenst ist. Eine sichtbar gemachte Wiedergängerin in den Köpfen der Gruppe. Christine war Roberts Frau, sie ist umgekommen bei einem Einsatz, erschossen von einem „Geflüchteten“. Ein Trauma für alle, die da jetzt auszuspannen sich abmühen. Aber eigentlich verraten wir damit schon zu viel, weil das wird erst, wiewohl äußerst vorhersehbar, nach und nach aufgeblättert – in zwar tendenziell mit Humor aufgepeppten, aber keineswegs im Nu verfliegenden eindreiviertel Theaterstunden.

Doch jetzt hat sich Robert erst mal in seinen Sitzsack fallen lassen und proklamiert: Kein Wort vom Beruf in den nächsten Tagen! Klappt natürlich nicht, eh klar. Darum geht es der Regisseurin Monika Klengel und der Text-Fasserin Pia Hierzegger ja. Mit Leuten vom Grazer Schauspielhaus und vom „Theater im Bahnhof“ haben sie sich für die Koproduktion „Polizei Graz. Eine ALL-inclusive Erfahrung“ die Kieberei vorgeknöpft, wie man in österreichischem Slang so nett sagt. Wie ticken jene Polizistinnen und Polizisten, die in einer eher durchwachsenen Gegend von Graz, im Lendviertel, Dienst scheiben?

Der Small talk am Urlaubsort kippt also doch immer wieder hinüber in „Dienstliche“. Schon das Pro und Contra, ob es denn nötig sei, die Zimmer im Club abzusperren, weckt den Bullen im Urlauber. Und erst, als eine Horde weißer Affen über eine Touristengruppe hergefallen ist und ihre Handys in den Fluss geschmissen hat! Das ruft geradezu nach polizeilichen Protokollen und exakter Erhebung. Wie viele waren's, wie viele Männer, wie viele Frauen? Eine Horde eben... auch Polizisten sind unverlässliche Augenzeugen, wenn's tierisch unernst wird.

A propos unernst: Zwei Polizistinnen im plötzlich intimen Gedankenaustausch über „lebensgefährdenden Schusswaffengebrauch“. „Hast Du schon mal?“ – „Nein.“ – „Ich auch nicht, dabei schieß' ich so gern.“ Selten so gelacht, aber das Theater im Bahnhof hat seine eingeschworene Kundschaft, die vom Hintergründigen und Tiefsinnigen überzeugt ist. Diese unermüdlichen Lebensumwelt- und Menschen-Befindlichkeits-Erkunder aus der Grazer freien Szene halten ihre Augen und Ohren immer ganz nah ans Volk hält, ganz tief, mit Vorliebe an den Underdog. Polizisten laufen da schon fast als Elitethema.

Pia Hierzegger hat die Erfahrungen mit Polizei-Menschen in Textform gebracht. Sie huldigt der ironischen Brechung, damit bloß niemand glaubt, hier werde unreflektiert drauflos gespielt. Immer wieder steigen Figuren aus. Man sinniert und diskutiert dann darüber, ob „meine Schauspielerin“/„mein Schauspieler“ rollendeckend agiert. Der Selbstbefund kann zufriedenstellend ausfallen, aber auch im Ruf „Fehlbesetzung“ münden. Und, es versteht sich: Die Genderfrage darf auch nicht zu kurz kommen. Von der zarten Stella erfahren wir, dass sie Krebs gehabt hat, von den männlichen Kollegen deshalb geschont wird, aber das empfindet die Genesene als Bevormundung. Sie wäre angeblich die Beste im Team, also käme ihr mehr Leitungskompetenz zu.

Das also auch noch in der Umkreisung eines Themas mit dem vorprogrammierten Ergebnis „Kieberer sind auch nur Menschen“. Wer hätte das gedacht? Viel Plattheit muss man an diesem Abend wegstecken. Aber es gibt auch einen berührenden Moment: in einer wortlosen Szene holt die „untote“ Christine Robert, den Schuldgefühle plagen ob des Todes seiner Frau, aus einer jäh aufbrechenden emotionalen Krise. Das ist eine innige Choreographie, bei der einem durch den kopf geht: Was könnte man aus dem Thema herausholen, wenn die Aufführung nicht auf Biegen und Brechen gar so sehr „menscheln“ müsste.

Aufführungen bis 11. Mai, Grazer Schauspielhaus, Haus Zwei – www.schauspielhaus-graz.com
Bilder: Schauspielhaus Graz / Johannes Gellner

 

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