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Höchste Zeit, auch die Rindermäuler zu zeigen

REST DER WELT / NÜRNBERG / DER FRÜHE DÜRER

25/05/12 Im Germanischen Nationalmuseum zeigt man den Sommer über die größte Dürer-Ausstellung in Deutschland seit vier Jahrzehnten. Man sagt dem „fernen Genie“ viel Humor, Schlitzohrigkeit, auch Manager-Attitüde und Geschäftstüchtigkeit zu. Und statt dem Hasen aus der Albertina gibt es Rindermäuler zu sehen.

Von Hans Gärtner

Es sei an der Zeit, auch mal seine Rindermäuler zu zeigen, findet Thomas Eser, Kurator der spektakulären Ausstellung „Der frühe Dürer“ im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg (GNM). Was Albrecht Dürer (1472 – 1828) daran so reizend fand, sei das Ambivalente gewesen: das zugleich Glatte und Glitschige, Raue und Haarige.

Thomas Eser sieht Dürer nicht mehr als klassisches deutsches Künstler-Genie. Die drei Jahre währende Dürer-Forschung im Vorfeld der Ausstellung rückt, was lange als unumstößlich galt, in neues Licht. Auch Dürer war, ob als Maler, Radierer oder Holzschneider, ein besessener Künstler. Er war fleißig, feilte, korrigierte, verwarf, vermarktete seine Bilder. Er strebte nach Perfektion, gierte nach Beifall, wollte der Beste seiner Zunft zu sein. Vorzeichnungen, rückseitig Kommentiertes, hinzugesetzte Beschreibungen, bei Vorbildern Abgeschautes – AD (auf keinem Werk fehlt das Sigel) schielte bereits als 13jähriger, als er sich mit Silberstift porträtierte, nach Ruhm und Anerkennung.

Der junge Dürer war eingebunden in ein künstlerisch-humanistisch vielfältig geprägtes, männlich bestimmtes soziales Netzwerk. Fast milieutheoretisch wird in der AD-Forschungszentrale des Germanischen Nationalmuseums das prägende Umfeld (Koberger, Schedel, Wolgemut, Pirckhaimer) als Grundlage für die Immortalität Dürers als ingeniöser bildender Künstler ergründet und auf altem Stadtplan fixiert.

Die „frühe“ Schaffenszeit Dürers – zwischen 1484 und 1505 – ist stilistisch nicht so recht abzugrenzen vom gesamtwerk. Diese Zeit jedenfalls wird mit 200 Leihgaben aus 12 Ländern und Eigenstücken erhellt. Man gliederte den „Stoff“, angereichert durch „Umfeld“-Exponate der Lehrmeister (Wolgemut, Pleydenwurff, Schongauer), in vier Sektionen: „Ego“, „Ab-/Neumachen“, „Dramatiker“, „Neue Kunst?“. Dezent beleuchtet sind die klug gehängten und gelegten Exponate. Heiligen Ernst flößen fast alle ein, wozu die dunkelrot/schwarze Raumausstattung nicht wenig beiträgt.

Verblüffend: In der weihevollen Dunkelkammer-Atmosphäre findet das Labor-hafte, Verschmitzte, auch das Geschäftstüchtige des fantastischen, stark selbstbezogenen Urhebers immer wieder Platz.

Einen Teufel scherten die Kuratoren sich um die Verweigerung Münchens, Paris` und Madrids, die gemalten Selbstbildnisse nicht herausgerückt zu haben für diese seit 40 Jahren erste „neue“ Schau auf das initiale Schaffen des zwar global gefeierten, aber nur – so eine der Forschungsthesen – in der regionalen Dichte zu solcher Größe aufgestiegenen Sohns Nürnbergs. Sie machten aus der Not eine Tugend und hinterleuchten nun die etwas vergrößerten Selbstporträtgemälde-Fotos. Der Besucher hält es hier vielleicht in den Augen der Wissenschaftler zu wenig lange aus. Er respektiert zwar, hat aber selbst nicht den „Hinterleuchtungs“-Blick auf AD.

Der Besucher will ja vor allem genießen: die zwar steife, aber doch so herrlich in Ultramarin gehüllte, das Plakat-Motiv stellende Haller-Madonna (aus Washington gottlob frei gegeben); „Die Anbetung der Könige“ (1504, mit Hirschkäfer und Schmetterlingen); den Kupferstich „Adam und Eva“ (welch perfekte, bloße Körper – damals, 1504, ein Schock-Bild nördlich der Purismus-Grenze Alpen); die Holzschnitt-Serie „Apokalypse“ (1497/98, beeindruckend: der Raum mit fensterartig- „hinterleuchteten“ Hochformaten der wild-bildmächtigen Johannes-Offenbarung). Schließlich stößt man, trunken vor Begeisterung über Dürers Schönheits-Ideal, reifes Können in jungen Jahren, Ringen um und Aufbrechen von Normen, über Seitenblicke auf den biederen Landschafts-Maler seiner Zeit, auf Zulieferarbeiten für Glasmaler, endlich auf die Rindermäuler (um 1500). Eine freche Zeichnung, oder eher naturgetreu-lehrbuchhaft? Daneben zwei dramatisch konterfeite Leidensmänner (1503), der eine mit Dornenkrone,  den man quasi stöhnen hört.

Man steht am Ende wieder in der Entree-Rotunde: Alabaster-weiß sitzt der 13-jährige Albrecht als seltsam tot-lebende Figur da. Es ist ein Werk von Friedrich Samuel Beer aus dem späten 19. Jahrhundert. Er trägt jene Haube, die er sich, im ersten Selbstporträt, selbst aufgesetzt hatte, den Stift in der Hand, um damit ein Werk zu initiieren, das keine, auch nicht diese kontrastreich konzipierte Ausstellung je in vollem Umfang wird präsentieren können. Man freue sich auf den Katalog mit 20 Essays (34,50 €), die ultimative Dürer-Auskunftei auf dem derzeitigen Stand des Wissens über den „Hinterleuchteten“.

„Der frühe Dürer“, Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, bis 2. September. – der-fruehe-duerer.gnm.de
Bilder: dpk-Gärtner

 

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