asdf
 

Verblendung und Machtmissbrauch

FLORENZ / MAGGIO MUSICALE / LEAR

09/05/19 Mit Aribert Reimanns apokalyptischem Lear wurde vergangene Woche das 82. Festival des Maggio Musicale Fiorentino eröffnet. Gezeigt wird eine Übernahme von Calixto Bieitos intensiver, geradlinigen Pariser Produktion aus dem Jahr 2016. Chefdirigent Fabio Luisi wählt einen ebenso radikalen Zugang.

Von Oliver Schneider

Das triste Regenwetter am vergangenen Sonntag auch in der Toskana schien wie bestellt, um Reimanns – und Shakespeares – fatalistische Beschreibung von Machtmissbrauch und persönlicher Verblendung noch in Natura zu unterstützen. Nach rund drei intensiven und konzentrierten Stunden jubelte das Florentiner Publikum wie befreit den ausnahmslos hervorragenden Protagonisten und dem Chor, dem Dirigenten, der alle Beteiligten durch die hoch anspruchsvolle Partitur gelotst hatte, und dem Komponisten zu. Die in ihrer protzigen, grauen Monumentalität leider genauso trostlose, 2014 eröffnete Opera di Firenze passt für einmal zum präsentierten Werk.

Regisseur Calixto Bieito versucht gar nicht erst, für das von Claus H. Henneberg eingerichtete Libretto auf der Basis von Shakespeares Drama eine zusätzliche Deutungsebene zu formulieren. Wie Simon Stone 2017 in der Salzburger Felsenreitschule, verortet er die von Lear selbst ausgelösten Geschehnisse in der Gegenwart und schildert die Korrumpierung der Personen aufgrund von Machtmissbrauch, Gier und falscher Eitelkeit. Auf einer geneigten Spielfläche dürfen die Protagonisten schlicht die Charaktere mit Wort und Ton ausfüllen (Bühne: Rebecca Ringst). Hinter der Spielfläche begrenzt eine schwarze Lamellenwand den Raum. Ab der dritten Szene bilden sich zunächst Zwischenräume zwischen den Lamellen, die sich später langsam neigen, bis sie zum Schluss horizontal am Boden liegen. Als Zeichen dafür, dass die Menschheit nach zig sinnlosen Morden vor dem Nichts steht.

Bo Skovhus mit seinem grossvolumigen Organ und seiner herausragenden Artikulation ist längst zu einem der herausragendsten Vertreter des heldenbaritonalen Fachs des 20. Jahrhunderts geworden. Karl V, Wozzeck und sein Spiegelbild Lear (wie bereits 2016 in Paris). Hoch expressiv gestaltet er den König, der zu spät erkennt, dass er das Drama durch das Verteilen seines Reichs auf die drei Töchter mit der einzigen Bedingung, ihn zu lieben, ausgelöst hat. Der in seiner Verblendung die einzig wahrhaft Liebende, Cordelia, verkennt und dadurch ihren Tod mitverschuldet. Gleich einem großen Mimen auf der Theaterbühne, durchlebt Skovhus den Wandel vom stolzen König zum gerade noch geduldeten Vater und schließlich zum Wahnsinnigen, dem nicht mehr als eine Unterhose geblieben ist. Bei fast allen Protagonisten dieser aussergewöhnlichen Produktion kann man dem wichtigen Text gut folgen, doch Skovhus’ Diktion hebt sich noch einmal von allen Mitspielern ab.

Ángeles Blancas Gulín als Goneril und Erika Sunnegårdh als Regan in ihren eleganten Kleidern (Kostüme: Ingo Krügler) betonen heuchlerisch, wie sehr sie ihren Vater lieben. Doch mit hochdramatischer Wucht zeigen beide rasch ihre wahren Gesichter. Solchen Menschen, die skrupellos über Leichen gehen, möchte man nicht begegnen. Genauso wenig dem schneidend scharfen, dissonanten Andreas Conrad als Edmund, dem unehelichen Sohn des Grafen Gloster (gut Levent Bakirci). Sein Bruder Edgar (bejubelt Andrew Watts) muss den Wahnsinnigen mimen – im Orchester gezeichnet durch Harfe, Tam-Tam und Becken –, um sich vor den sinnlos mordenden Machtmenschen zu retten. Er wird zum „armen Tom“, der in Lears Dienste tritt, bis er sich schließlich an seinem Bruder rächen kann. Agneta Eichenholz macht als jüngste der Lear-Töchter, Cordelia, eine gute Figur. Und auch in den weiteren Partien kann das Ensemble mit Geschlossenheit punkten, wozu der tadellos von Lorenzo Fratini einstudierte Chor des Maggio Musicale Fiorentino ebenfalls seinen Beitrag leistet.

Anders als Franz Welser-Möst in Salzburg, betont Fabio Luisi in seiner Interpretation weniger die Linie von Strauss, Schönberg und Berg, sondern vielmehr jene zu den Serialisten und dadurch die Radikalität der Musik. Die Klangeruptionen in den Zwischenspielen erschüttern immer noch, und sie scheinen gerade für diesen Raum wie komponiert zu sein. Aber Luisi zügelt das Orchester, das in dieser Produktion zeigt, was es kann, auch immer wieder in den subtilen psychologischen Momenten.

Beim Maggio Musicale Fiorentino stehen neben Lear als weitere Opernneuproduktionen La straniera von Vincenzo Bellini (auch mit Fabio Luisi am Pult) und Le nozze di Figaro auf dem Programm. Konzerte u.a. mit dem Orchestra Giovanile Luigi Cherubini und Riccardo Muti sowie dem Orchestra del Maggio Musicale unter Myung-Whun Chung, Daniele Gatti und Zubin Mehta. Dallapiccola-Tage, eine zeitgenössische Reihe, Kammerkonzerte sowie Konzerte in der Region.

Letzte Vorstellung des Lear in Florenz am 9. Mai. Die Produktion ist ab 21. November bis 7. Dezember 2019 in zum Teil gleich Besetzung wieder in Paris im Palais Garnier zu sehen – www.operadeparis.fr
Der Maggio Musicale Fiorentino dauert noch bis 20. Juni – www.maggiofiorentino.com
Bilder: Maggio Musicale Fiorentino / Michele Monasta

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014