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Castorf und Janáček

MÜNCHEN / AUS EINEM TOTENHAUS

23/05/18 Regie-Altmeister Frank Castorf bringt seine intensive Beschäftigung mit Dostojewski bei einer Neuinszenierung von Léos Janáčeks letzter Oper „Aus einem Totenhaus“ an der Bayerischen Staatsoper ein. Simone Young und das Staatsorchester runden den Abend mit einem selbstbewussten Klangbild ab.

Von Oliver Schneider

Nach dem Ring in Bayreuth war es nur eine Frage der Zeit, bis sich Frank Castorf erneut dem Musiktheater widmen würde. Welches Werk wäre da geeigneter als Janáčeks Vertonung von Dostojewskis autobiographischen „Aufzeichnungen aus einem Totenhaus“? Der russische Schriftsteller schildert in der Figur des fiktiven Sträflings Alexander Petrowitsch Gorjantschikow die traumatischen Erinnerungen an seinen eigenen Aufenthalt im Lager in Omsk: den quälenden Lageralltag.

Castorf hat gemeinsam mit „seinem“ Team – Aleksandar Denić (Bühne), Adriana Braga Peretzki (Kostüme), Rainer Casper (Licht) sowie Andreas Deinert und Jens Crull (Video) – eine graue Lagerwelt mit einem alles überragenden Wachturm auf der Drehbühne platziert, die auf beklemmende Weise für die Trost- und Aussichtslosigkeit der Gefangenen steht. Hier werden die für ihre Verbrechen Büßenden nicht nur von ihrem Kommandanten (sadistisch Christian Rieger) und den verrohten Wärtern in Schach gehalten. Sie bauen zusätzlich eine Hackordnung auf, indem sie sich zum Beispiel gegenseitig für ihre Untaten tätowieren: je mehr Tätowierungen desto schlimmer die Verbrechen, für die man die Strafe absitzen muß. Aber auch mehr Macht in der Gefängnishierarchie.

Wenn die Gefangenen sich am Feiertag mit Theateraufführungen Abwechslung im Lageralltag schaffen, dann geht es hier nur vordergründig um Unterhaltung. Bei „Don Juan“ und „Die schöne Müllerin“ leben die Gefangenen schlussendlich ihre sexuellen Bedürfnisse aus. Dass hier viel Rot ins Spiel kommt, ist klar. Gelb und Blau sind weitere Farben, die in der Lagerwelt ihren Platz finden. Castorf zieht eine Verbindung zum Revolutionär Leo Trotzki, der Ende der zwanziger Jahre von Stalin ins Exil gezwungen wurde und dank Frida Kahlo eine Bleibe in Mexiko fand (das blaue Haus von Frida Kahlo!). Doch nicht nur die für Lateinamerika charakteristischen Farben finden im Münchner Totenhaus Platz, sondern auch Totenmasken, die dem Lageralltag etwas Gespenstisches verleihen.

Die Einlieferung ins und Entlassung aus dem Lager von Gorjantschikow (abgeklärt und sich dem Schicksal fügend Peter Rose) bilden die Klammer der Schilderungen, für die Janáček aus der literarischen Vorlage Passagen herausgelöst und neu zusammengesetzt hat. Castorf ergänzt den Abend durch weiteres Textmaterial von Dostojewski. In der Beziehung zwischen Gorjantschikow und dem jungen Gefangenen Aljeja (in der Hosenrolle mit leuchtendem Sopran Evgeniya Sotnikova) arbeitet er mehr das Väterliche als das Homoerotische der Beziehung heraus. Aljejas Part wird außerdem dadurch aufgewertet, dass er gleichzeitig der verletzte Steppenadler ist, den die Gefangenen gesund pflegen in der Hoffnung, dass er das Lager wieder fliegend verlassen kann. Mit roten und blauen Bändern sowie Kopfschmuck, so dass man ein wenig an den farbenprächtigen brasilianischen Waldvogel in Castorfs „Siegfried“ erinnert wird.

Castorf hat Erkenntnisse und Erfahrungen aus früheren Produktionen mit der eigenen Biographie verwoben und zu einer multimedialen Bilderflut verarbeitet, die man beim ersten Sehen nur teilweise aufnehmen kann. Zumal schon die musikalische Umsetzung volle Aufmerksamkeit verdient. Gemeinsam mit dem auf der Stuhlkante spielenden Bayerischen Staatsorchester taucht Simone Young mit ungeschminkter Schroffheit in die Partitur ein. Sie deckt aber nicht nur die musikalische Härte des Lageralltags auf, sondern gibt auch der lautmalerischen Sensibilität Raum (vor allem in den Chorpartien, Einstudierung: Sören Eckhoff). Und in den vier, das knapp hundertminütige Werk gliedernden Monologen von Gefangenen, die exemplarisch mit der Schilderung ihrer Verbrechen zeigen, dass die Gefangenen sich die Menschlichkeit in ihrem Inneren bewahrt haben.

Innerlich zerrissen weint Charles Workman als Skuratow seiner Luisa nach und verliert darüber den Verstand. Luka Kusmitsch (Aleš Briscein) erfleht Zustimmung für seinen Mord an einem zaristischen Major im Gefängnis. Kevin Conners als Schapkin bringt in seiner Klage über die langgezogenen Ohren durch den Polizeichef eine groteske Komik ein, während Bo Skovhus als Schischkow seiner Geschichte einer unglücklichen Liebe die nötige Tragik verleiht. Jubel für eine großartige Ensembleleistung mit einer großen Fraktion auch für das Regieteam.

Weitere Vorstellungen am 26. und 30.5. sowie Aufführungen bis 26.Oktober – www.staatsoper.de
Bilder: Bayerische Staatsoper / Wilfried Hösl

 

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