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Vokalakrobatik und Wahnsinnsklänge

ZÜRICH / OPER / LUNEA

07/03/18 Seltsame Gestalten sind derzeit in Zürich zu bestaunen. Zuallererst Heinz Holliger, der bald achtzigjährige Oboist, Dirigent und Komponist. Vor zwei Dekaden schrieb er eine ganz und gar familienuntaugliche „Schneewittchen“-Variante, die auf Robert Walser basierte und einen wild-virtuosen Kosmos entwarf. Jetzt also „Lunea“ – hat das irgendwie mit dem Mond zu tun?

Von Jörn Florian Fuchs

Ja, lunare Stimmungen gibt es viele, doch wenn man die Buchstaben ein wenig durcheinander wirbelt, kommt (Nikolaus) „Lenau“ heraus. Dieser österreichische Dichter (1802-1850) dichtete – obschon der Romantik verhaftet – gar manch fast schon surrealen Aphorismus. Händl Klaus, Wortkünstler aus Tirol, bedient sich als Librettist für „Lunea“ aus Lenaus Schaffen, er zitiert, (re)arrangiert oder atomisiert dessen Sprache, wobei interessanterweise der typische Händl-Klaus-Sound – brüchig, fetzig, feurig, zeitweise auch konkret – immer wieder durchscheint.

Heinz Holliger schuf eine schillernd überbordende Musik mit irrsinnigen Schlagwerkeffekten, als Kontrast dazu feine Klanggitter, dann wieder geräuschhafte Passagen. Am Pult der Philharmonia Zürich sorgt Holliger höchstselbst emphatisch für Genauigkeit. Auch die Sänger müssen Gewaltiges leisten, Bariton Christian Gerhaher (Lenau) bietet brillante Stimmakrobatik, Juliane Banse ist die immer wieder beschworene, nahe und zugleich ferne Geliebte Sophie von Löwenthal. Dummerweise verheiratet mit einem Anderen, aber zumindest vokal eindeutig auf Lenaus Seite. In 23 kurzen Szenen – Blättern – wird zurückgeblendet, vorausgeschaut, inne gehalten, mit den Dämonen der Liebe und des Verstandes gekämpft (der Dichter erlitt einen Schlaganfall und starb in geistiger Umnachtung).

Regie bei diesem komplexen Unterfangen führt Andreas Homoki, Intendant der Oper Zürich und damit Auftraggeber des Stücks. Er inszeniert zeitweise regelrecht choreographisch, dann wieder eher stilisiert-skulptural, jedoch immer perfekt zur Musik und jeweiligen Situation passend. Ganz ausgezeichnet sind die Basler Madrigalisten, der Chor mischt sich wie ostinate Wellen traumschön und meist eher sanft ins Geschehen ein.

Klaus Bruns hüllt die Akteure in edle Reifröcke und schmucke Anzüge, doch liegt auf allem und allen eine deutliche Schicht Staub oder Asche. Auf die eindreiviertelstündige Dauer etwas enervierend mag man die durchgehend düstere Atmosphäre auf der Bühne und im Text empfinden, erstaunlicherweise konterkariert Holliger sie manchmal – un(frei)willig? – durch orchestralen Schabernack, bunte Knallbonbons, völlig schräge Accompagnati oder ein Horn, das unheimliche Tierlaute ausstößt.

Im Ganzen ist hier wirklich etwas gelungen, wobei man als Zuschauer und vor allem als Zuhörer stark gefordert wird.

Weitere Aufführungen bis 25. März – https://www.opernhaus.ch/spielplan/kalendarium/lunea/season_11232/
Hoteltipp: www.operahotel.ch – das Hotel liegt direkt auf der Rückseite des Opernhauses und überzeugt durch angenehme Atmosphäre
Bilder: Opernhaus Zürich / Paul Leclaire

 

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