Tannhäusers Suche nach Liebe in den Hautfalten der Venus
REST DER WELT / MÜNCHEN / TANNHÄUSER
23/05/17 Bild- und Klanginstallateur Romeo Castellucci schafft im Münchner Nationaltheater suggestive, in ihrer Art hoch ästhetische Bilder für Wagners „Tannhäuser“. Mit Leben erfüllt werden sie freilich dank des Dirigenten Kirill Petrenko und einer Starbesetzung. Jubel für die Musik und der bekannte Mix aus Bravos und Buhs für das Regieteam.
Von Oliver Schneider
Der neue Münchner „Tannhäuser“ ist zunächst einmal ein Fest der Musik. Denn Generalmusikdirektor Kirill Petrenko führt die Musikerinnen und Musiker so durch die Partitur, dass ein an Zwischentönen reicher, durchsichtig modulierter und sängerfreundlicher Orchesterklang entsteht. Streicher und Bläser bleiben trotz der Auffächerung immer in Balance, sodass gerade wegen des lichten Klangbildes ein Sog entsteht, für den man sich früher einen Wagner-typischen Mischklang wünschte. Gespielt wird die für die Wiener Erstaufführung 1875 entstandene Fassung, eine Rückübertragung der Pariser Fassung ins Deutsche, mit einigen Ergänzungen aus der Dresdner Erstfassung. Unter Petrenkos Leitung wächst das ohnehin in der ersten Liga spielende Staatsorchester über sich hinaus und wird zu einer von den Kollegen im deutschsprachigen Raum nicht zu toppenden Formation.
Stimmlich getragen wird der Abend von drei großen Interpreten, die der Münchner Oper eng verbunden sind. Als Tannhäuser gab Klaus Florian Vogt am Sonntag sein Debüt und erwies sich mit seiner weißen, strahlkräftigen, glockenklaren und trotz schon längerer Wagner-Karriere schlackenlosen Stimme als prädestiniert für die Partie. Wann erlebt man schon einen Tannhäuser, der die Romerzählung mit unerschöpflichen Reserven und so viel Emphase gestaltet und nicht mit den Anforderungen kämpft? Christian Gerhaher ist ein bereits rollenerfahrener, intellektueller Wolfram, der seinen herrlich timbrierten Bariton lyrisch im Lied an den Abendstern strömen lassen kann, während er für den Rest der Partie an dramatischer Kraft gewonnen hat.
Anja Harteros gestaltet nach der Maddalena di Coigny in „Andrea Chénier“ im März mit der Elisabeth eine weitere Hauptpartie in dieser Saison. Was auch immer sie singt im deutschen oder italienischen Fach, sie scheint heute die ideale Wahl zu sein. Mit ihrem klangsatten Sopran weiß sie lange Bögen zu bilden, die sie mit jubelnden Spitzentönen krönt. Ihre gleißende Höhe macht sie gerade als Elisabeth zu einem überzeugenden rettenden Engel für den verdammten Tannhäuser.
Auch der Rest des edlen Ensembles hält auf hohem Niveau mit. Elena Pankratova ist eine vokal attackierende Venus. Der verlässliche Georg Zeppenfeld überzeugt als Landgraf mit prägnant-edlem Ton. Dean Power macht als Walther von der Vogelweide mit seinem edel geführten lyrischen Tenor auf sich aufmerksam, während Elsa Benoit als Hirt aufhorchen lässt. Sören Eckhoff hat die gewaltigen Chorszenen sorgfältig vorbereitet.
Szenisch arbeitet Romeo Castellucci mit symbolbeladenen Bildern, die in den ersten beiden Aufzügen faszinieren. Während Frau Venus zur Bewegungsunfähigkeit verdammt unter einem unförmigen rosa Hautberg haust, der durch die Körper der Münchner Statisterie gebildet wird und die sexuelle Liebe als wenig anziehend charakterisiert, leben Elisabeth und die Wartburg-Gesellschaft zwischen sich permanent fließend-bewegenden weißen (!) Voiles. Auch diese stehen für die Liebe durch den weiblichen Körper, aber eine sanftere, gefühlvollere, für die auch das Opernballett des Hauses (Choreographie: Cindy Van Acker) seinen Part beisteuert. Die Tänzerinnen und Tänzer formen die Bewegungen einer liegenden – weiblichen – Wirbelsäule beim Akt. Das Ballett kommt im Übrigen schon während der Ouvertüre zum Einsatz, in der „Venus-Jägerinnen“ mit dem Bogen Pfeile auf Tannhäusers Auge abschießen, das in einer kreisrunden Scheibe auf die Rückwand projiziert wird (mäßig überzeugend). Tannhäuser als von Venus Gejagter. In der zweiten Szene wird er dann von der Wartburg-Gesellschaft wie ein wildes Tier getrieben. Theaterblut fließt die Scheibe herunter.
Die Bilder sind harmonisch auf die Musik abgestimmt, verdoppeln nicht. Das ist gut. Was fehlt, ist eine Beziehung zwischen den Protagonisten. Man hat das Gefühl, einem sakralen oder rituellen Spiel beizuwohnen, bei dem man sich fragt, was es uns heute zu sagen hat. Fragwürdig wird es im dritten Aufzug, wenn Tannhäuser und Elisabeth auf zwei Steingräbern aufgebahrt werden, die zu aller Geschmacklosigkeit auch noch mit den Namen der beiden Solisten angeschrieben sind, und das Publikum einer Darstellung des Verwesungsprozesses in sieben Schritten beiwohnen darf. Man gewinnt den Eindruck, dass Castellucci die Ideen ausgegangen sind, um die guten Ansätze weiterzuführen.