Bloß nicht mit leerer Tasche losmarschieren!
REISEKULTUR / ÖTZTAL / NATURTHEATER
04/09/17 Man bekommt nichts geschenkt: Ungefähr sechs Stunden Wegzeit sind einzuplanen (Rückweg auch noch einmal zwei Stunden), 660 Höhenmeter sind zu meistern, und alles in allem legt man 19,5 Kilometer zurück. Entlohnt wird man mit Theater von Hubert Lepka und Lawine Torrén.
Von Reinhard Kriechbaum
„Der Weg ist bestens ausgebaut und mit leichten Wanderschuhen auch für weniger sportliche Zuschauer gut zu bewältigen“, beruhigen die Veranstalter im hinteren Ötztal. Spielfläche ist zwischen Vent (das liegt auf 1900 Metern Seehöhe) und dem Niederjochferner, der bei 2600 Metern beginnt. Eine gewisse Ausdauer gehört dazu, aber die war auch von „Friedl mit der leeren Tasche“ verlangt, dem Erzherzog von Tirol, auf seiner Flucht von Konstanz nach Meran. Um den geht es, denn der Habsburger kam angeblich genau hier vorbei, wo Hubert Lepka sein Natur-Theater angelegt hat. Ob wirklich mit „leerer Tasche“? Da sind die Historiker nicht ohne Grund misstrauisch.
Auch darüber, ob die Flucht wirklich so verlaufen ist, wie sie spätere Quellen beschreiben, gibt es unterschiedliche Meinungen. Aber Theater erhebt ja nicht den Anspruch auf hundertprozentigen Realismus. Turbulent ist es allemal zugegangen im Leben des Friedrich, der als derjenige „mit der leeren Tasche“ in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Imagemäßig mehr Glück hatte übrigens sein Sohn Siegmund, dem die Nachwelt das Attribut „der Münzreiche“ verpasst hat.
Warum war der Tiroler Erzherzog überhaupt auf der Flucht? Der jung zum Regenten Ernannte hatte nicht wenige Widersacher, in Tirol selbst und in Nachbargebieten von Appenzell bis ins Schwabenland. Obendrein war es die Zeit der Hussitenkriege und auch katholisch-innerkirchlich gab es Zoff: Ein Bündnis mit dem zum Konzil von Konstanz reisenden Gegenpapst Johannes XXIII. im Jahre 1415 trug Herzog Friedrich zunächst den Titel eines Generalkapitäns der römischen Kirche ein. Aber dieser Johannes XXIII. erwies sich duch nicht als Atout, sondern als schlechte Karte. Der Gegenpapst wurde demontiert und floh aus Konstanz. Dabei war ihm Friedrich behilflich, was ihm Reichsacht einbrachte. So war Friedrich also selbst bald auf der Flucht. Das war 1416.
„Friedl mit der leeren Tasche“, die Produktion von Hubert Lepka und Lawine Torrén, hat offensichtlich das Zeug zum Dauerbrenner. 2013 fanden die ersten Aufführungen statt, und seither jedes Jahr, heuer also zum fünften Mal. Die Geschichte kommt mit deutlich bescheideneren Mitteln aus als Lepkas winterliches Gletscherspektakel „Hannibal“, die technologisch aufgerüstete Story um die Alpenüberquerung Hannibals.
Ein Live-Roadmovie entlang einer der schönsten Wanderrouten der Alpen: Eine kleine Zuschauerschar folgt dem Erzherzog Friedrich von Tirol auf seiner Flucht nach Meran. Im Rofenhof kommt der Erzherzog als vermeintlicher Knecht unerkannt unter, flieht weiter mit Hilfe der Magd Anna über die Berge. Die Flucht ist übrigens gut ausgegangen. Von Meran aus hat Friedrich seine politische Position gefestigt und das an Silber und anderen Bodenschätzen reiche Tirol wieder unter seine Herrschaft gebracht – der „münzreiche“ Sohn hat die Ernte eingefahren...
In der kargen Gegend des hinteren Ötztals leben auch heute wenig mehr als hundert Personen. Große Teile der Landschaft werden noch so bewirtschaftet wie vor sechshundert Jahren, zur Zeit Friedls. Das Niedere Tal weist kaum erkennbare Spuren des 21. Jahrhunderts auf. Es ist aus allen Blickwinkeln der authentische Hintergrund für die Geschichte.
Dieser urtümlichen Landschaft würde krass widersprechen, wollte man sie mit Sprache und Musik beschallen. „Friedl mit der leeren Tasche“ funktioniert anders: Die Szenen dieses Wandertheaters spielen entlang der Route ganz in der Nähe der Wanderer oder in weiter Entfernung. Das macht nichts, denn das Publikum hat Kopfhörer, kleine Ohrknöpfe. So wird man quasi unerkannter Beobachter dieser Szenen. Unterwegs sind Friedl, die Magd Anna, eine hohe Frau, auch Oswald von Wolkenstein. Und man hört Hirtenlieder und Motetten, das Hufgetrampel der Herden und man sieht höfischen Tanz: Erzählung und Schauspiel sind gepaart mit Musik des 15. Jahrhundert. Der Ötztaler Dialekt wurde übrigens von der UNESCO zum immateriellen Kulturerbe ernannt. Klingt urwüchsig und vielleicht sogar ein bisschen so, wie das spätmittelalterliche Deutsch damals geklungen hat.
Und was die leere Tasche anlangt: Ganz leer sollte sie nicht sein, denn der vom Tourismusverband Ötztal getragene Theaterevent soll natürlich Geld bringen. Und leer darf sie auch hinsichtlich des Proviants und der Getränke für die lange Wanderung nicht sein - auch wenn am Ende eine Einkehr in der Martin Busch Hütte wartet, wo Publikum und Schauspieler zusammen kommen.