Idylle, Schönheit und eine Kriegsgroteske
OSTERFESTSPIELE / ORCHESTERKONZERT III
21/04/25 Schon ein Jahr nach Gründung durch Claudio Abbado gastierte das Mahler Chamber Orchestra in Salzburg. Es war im Sommer oft hier zu Gast und assistierte ab 2010 auch vier Mal den Finalisten im Young Conductors Award der Festspiele. Seinen lebhaft angenommen zweiten Auftritt heuer bei den Osterfestspielen leitete Gianandrea Noseda.
Von Horst Reischenböck
Der mittlerweile sechzigjährige gebürtige Mailänder Gianandrea Noseda verdiente sich sich seine Sporen unter anderem bei Valery Gergiev. Zehn Jahre war er Erster Gastdirigent am Mariinski-Theater in St. Petersburg. Kein Wunder, dass ihm russische Musik hörbar ans Herz gewachsen ist, wie er eindrucksvoll am Karsamstag (19.4.) im Großen Festspielhaus bewies.
Zunächst ging’s allerdings mit den vier Sätzen von Edvard Grieg aus dessen Bühnenmusik zu Henrik Ibsens Peer Gynt gezogenen, geläufigen Suite Nr. 1 op. 46 in Norwegens Gefilde und mit dem exquisit geblasenen Flötensolo der Morgenstimmung eigentlich missverstanden vorerst in Nordafrikas Sonnen-bestrahlte Wüste. Emotional aufgeladen verströmten dann die Streicher ihre die Seelen tief bewegende Trauer über Peers Mutter Åses Tod, die von Anitra getanzte Verführung kulminierte danach noch entsprechend dämonisch-orgiastisch in der Halle des Bergkönigs.
Auf all diese Ohrwürmer folgte ebenfalls Bestbekanntes, Pjotr Iljitsch Tschaikowskys vor allem in den Ecksätzen reißerisch-virtuosem D-Dur-Violinkonzert op.35. Das war auch das Salzburg-Debüt des amerikanisch-deutschen Geigers Augustin Hadelich. Man durfte sich an Herbert von Karajans Zeiten erinnen, der am selben Ort seinem damaligen Publikum auch Anne-Sophie Mutter oder den blutjungen Yevgenij Kissin nahe brachte.
Nachdem Gianandrea Noseda behutsam den Vorhang zwecks Einstieg ins eröffnende Allegro moderato lüpfte, antwortete Augustin Hadelich auf seiner mit dem Namen seines großen Kollegen Henryk Szeryng geadelten Guarneri geradezu verschwenderisch tonschön in selbem Geiste. Nachdem er im Binnensatz, der Canzonetta, seine edle Geige dynamisch subtil verinnerlicht hatte singen lassen, stürmte er geradezu vehement durch die ihm im Allegro vivacissimo gestellten technischen Anforderungen. Anlass zu spontanen Standing ovations.
Heuer gilt es an den 50. Todestag von Dmitri Schostakowitsch zu erinnern. Da hätte man bei diesen Osterfestspielen übrigens auch seine erst posthum im Jahr 2000 wieder entdeckte, von der Roten Armee bestellte Suite über finnische Themen in Kammerbesetzung aufs Programm setzen können. Aber gerade im Gedenkjahr ans Kriegsende und Salzburgs Befreiung vor achtzig Jahren passte auch Schostakowitsch' fast zentral die Achse seines Schaffens bildende Neunte Sinfonie Es-Dur op. 70, mit der er den Vorstellungen von Russlands damaligen Machthabern bewusst konträr lief.
Schostakowitsch' Vorstellung – er wünschte mindestens 64 Streicher oder mehr – hat die Besetzung nicht ganz entsprochen. Über diese verfügt ein noch so groß besetztes Kammerorchester natürlich nicht.
Abgesehen von heldenhaft bestimmten Es-Dur entstand statt einer noch 1944 angekündigten Lenin-Huldigung schließlich kein siegestrunken mit Chor pathetisch triumphierender Abschluss einer symphonischen Weltkriegs-Trias. Schostakowitsch schrieb stattdessen ein die Hörer spontan ansprechendes, kaum 25 Minuten kurzes klassizistisches Werk, das sich schon im knappen Kopfsatz durch bewusst vorgeschriebene Wiederholung der Themen-Exposition als an Joseph Haydns Vorbild in modernem Gewand verpflichtet zeigt.
Große Klage der Trauer um verlorene Kriegsopfer spiegelt auch das dem Kopfsatz folgende Moderato kaum, das Gianandrea Noseda nicht ganz so wie einst Leonard Bernstein auswalzte. Den in den Holzbläsern dahin huschende Spuk des Presto-Scherzos ließ er nahtlos in das den Stimmen der posaunen folgende, berührenden Schmerz ausfrucksvoll spiegelnde Fagottsolo münden, ehe ein steigernder Wirbelwind aller Beteiligten zum Schluss in eine merkwürdige und doch beklemmende Art von Fröhlichkeit auslief. Ob darin die von Schostakowitsch zweifellos versteckte Botschaft ankam, war nicht zu beantworten. Unter Nosedas beschwörender Stabführung wurde jedenfalls der Subtext so nachdrücklich wie möglich intensiv und perfekt umgesetzt.
Hörfunkübertragung am 11. Mai, 11.03 Uhr, Ö1
Bilder: Osterfestspiele Salzburg / Tony Hitchcock (1); Suxiao Yang (1)