Kein Vorbild für demokratische Tugenden
OSTERFESTSPIELE / CHORKONZERT II
21/04/25 Game of Faith bei den Osterfestspielen in der Umsetzung von Mendelssohns Oratorium Elias. Eine dramatische Version durch expressive Soli, das Mahler Chamber Orchestra und den Chor des Bayrischen Rundfunks unter Maxim Emelyanychev am Karfreitag (18.4.)
Von Erhard Petzel
Gleich zu Beginn freut man sich auf die Klangwogen der Ouvertüre nach des Titelhelden Drohung. Die fallen zunächst etwas enttäuschend aus mit einem Klangbild, das mehr Kontur und Struktur vertrüge. Vielleicht vermisst man den Sog eines großen Atems. Maxim Emelyanychev dirigiert kleinräumig und scheint dem genussreichen Strom zu misstrauen. Es entwickelt sich aber dann doch eine recht dramatische Linie. Der Sohn der Witwe, bei der Elias nach seiner Auseinandersetzung mit König Ahab Zuflucht gefunden hat, stirbt. Das lässt sie gegen Jahwe und seinen Propheten rasen. Emily Pogorelc vermittelt den Furor einer verzweifelten Mutter anschaulich. Der ganz große Wurf ist Michael Nagy, Einspringer für Christian Gerhaher. Der Stress durch die wütende Frau beutelt seinen Elias richtig durch und das Gebet zur Rettung des Knaben sprengt die Ketten klassisch gelassenen Künstlerwesens.
Die folgende dramaturgische Steigerung erfährt ab da einen unwiderstehlichen Sog. Denn Elias stellt sich dem König und fordert ihn heraus. Ahab ist wie kein jüdischer König zuvor dem Baal-Kult verfallen. Das Duell zwischen den Baal-Priestern und Elias wird zum Fanal. Michael Nagy singt nicht nur, er lebt seine Rolle. Textverständlichkeit ist für ihn Selbstverständlichkeit, die durch virtuose Varianz des Timbres je nach Situation und Gefühlslage auf plastische Weise seinem Protagonisten Charakter verleiht. Mit dem Textverständnis tut sich die Sopranistin Emily Pogorelc nicht so leicht, „Weiche nicht“ zu Beginn des zweiten Teils gerät ob dramatischer Überzeichnung beinahe etwas unkontrolliert. Wiebke Lehmkuhl hingegen verströmt ihren runden Alt bis zur zartesten Innigkeit und wird so ihrem engelhaften Wesen gerecht. Herrlich lyrisch „Sei stille dem Herrn“, aber auch abgefeimt als intrigante Königin. Stimmlich etwas sehr zurückhaltend Tenor Pene Pati, wenngleich sein Rezitativ zum unter dem Wacholder schlafenden Elias durch wunderbar zarte Feinheit besticht.
Für seinen himmlischen Engels-Zwiegesang mit Elias verdient sich der Tölzer Knabe Felix Hofbauer ein Aufbranden bei jedem Applaus-Durchgang. Elegant die aus dem Chor heraus wachsenden Quartett-Ensembles. Der von Howard Arman einstudierte Chor des Bayrischen Rundfunks punktet vor allem bei den hoch dramatischen Herausforderungen mit agogischen Raffinessen wie den vergeblichen Bemühungen der Baal-Priester; aber auch bei den verhaltenen Betrachtungen des 2. Teiles breiten sich stimmungsvolle Bilder aus. Etwas eindimensional geraten die Teile, bei denen Chor und Orchester gemeinsam hochfahren. So gerät der Schlusschor mehr laut als mitreißend. Wenn Maxim Emelyanychev nach dem Schlussapplaus den Herbert von Karajan-Preis überreicht bekommt, ist das unhinterfragt auch hier gerechtfertigt. Das Engagement zur künftigen Auseinandersetzung mit seiner Arbeit wird der sicher nicht schmälern. Das Orchester hütet mit seinem zum Teil historischen Instrumentarium eigene Klangräume vom apokalyptischen Blech bis zur weichen Holzflöte mit überraschenden Klangwirkungen.
Bleibt abschließend die Frage nach der Relevanz einer biblischen Figur, die musterhaft für Gott hingebungsvoll gelebten Lebens steht und selbst von der als Erfüllung gefassten Figur von Jesus am Kreuz angerufen wird. Die Himmelfahrt in Gottes brennender Kutsche ist antiker Topos. Sonst bleibt aus heutiger Sicht die manisch-depressive Eskalation einer narzisstisch gekränkten Persönlichkeit, die sich über die Verfolgung aufregt, unterlegenen Gegnern diese selbstverständlich aber genau so zufügt (Elias metzelt nach seinem Erfolg die Baalpriester nieder). Ein Eiferer jenseits aller heute als selbstverständlich verstandenen demokratischen Tugenden. Stur und engstirnig wie ein fundamentalistischer Terrorist. Vielleicht ideal für den als Kind konvertierten Mendelssohn, der im Gewand des Konvertiten mit dieser biblischen Gestalt dem Assimilationsdruck der Gesellschaft im Biedermeier eines auswischt. Ist die Figur des Propheten auch eher problematisch geworden und keine Vorlage mit Vorbildcharakter mehr, eine gute Erzählung funktioniert immer, wenn sie überzeugend erzählt wird. Dafür hat sich das Publikum der Osterfestspiele lautstark bedankt.
Hörfunkübertragung am 29. Mai, 19.30 Uhr, Ö1
Bilder: Osterfestspiele Salzburg / Erika Mayer