Sinnliche Klarinette
WIENER SAAL / DUOABEND
14/04/10 Den Veranstaltern von Kammerkonzerten könnte man vorwerfen: Fast ausschließlich kommen Streichquartette und Pianisten zum Zug. Und das Publikum? Es kommt offenbar nur zu Streichquartetten und Pianisten …
Von Reinhard Kriechbaum
Am Dienstag (13.4.), als im Wiener Saal wieder einmal "Rising Stars" angesagt waren, kam ein schütteres Grüppchen von nicht ganz fünfzig Zuhörern. Drei von vier Plätzen waren also frei. Spielt ein "ordentliches" Streichquartett oder geht's um ein Klavier-Recital, kann man sich in dem gut eingeführten Stiftungs-Zyklus auf zweihundert Interessenten verlassen.
Fein, dass der Veranstalter dennoch ein wenig trotzig ist und gelegentlich einen Liederabend anbietet (auch keine Spezies mit Magnetwirkung), oder eben wie diesmal ein Duo Klarinette/Klavier. Der Abend lohnte, weil er - außer der ersten Brahms-Sonate und der selten, aber doch gelegentlich zu hörenden Klarinetten-Rhapsodie von Debussy - fast ausschließlich rare Dinge angeboten hat. Zeitgenössisches auch, aber keine Stücke, vor denen sich ein Hörer fürchten müsste.
Zum Beispiel "Searching", ein Solostück von Andy Pape. Der in Dänemark lebende Amerikaner hat in seiner Jugend wohl viel Kagel und dergleichen gehört, und jetzt komponiert er selbst gerne "theatrale" Musik. Sprich, der Klarinettist muss mit ein wenig Slapstick melodische Zwiegespräche suggerieren und Stimmungen "ausmalen". Zuletzt sinken die Arme ermattet hinunter und das Instrument hängt saft- und kraftlos an den Lippen des Spielers.
Emil Jonason ist ein Musiker, der nicht nur Klassik spielt, sondern auch gerne mit dem Klezmer liebäugelt oder mit Musik vom Balkan. Da sind bei ihm die "Tanz-Präludien" von Witold Lutoslawski (1913-94) gerade an der richtigen Adresse. Denn diese neoklasizistisch angehauchte, verbrämte Folklore (polnische Weisen stecken dahinter) gewinnt ungemein, wenn man sich ihr tonlich flexibel und eben "volksmusikantisch", also frei und lebhaft, aber auch ein wenig hintergründig und melancholisch nähert. Auffallend: Wie gut Emil Jonason und sein Klavierpartner Peter Friis Johansson die Akustik im schütter besetzten Wiener Saal eingeschätzt haben.
Das kam nicht zuletzt der Sonate für Klarinette und Klavier von Francis Poulenc zugute. In diesem Spätwerk huldigt ein Neoklassizist dem anderen, die Sonate ist nämlich im Gedenken an Arthur Honegger entstanden. Hinter aller Motorik stehen Sinnlichkeit und in diesem Fall auch ein gerüttelt Maß an Melancholie. Wie im langsamen Satz ein Rohrblatt-erzeugter Ton doch wie aus dem Nichts entstehen kann! Es war fein, dem vom Konserthuset Stockholm losgeschickten "Rising Star" Emil Jonason begegnet zu sein.