„Zwangsbeschaller“
HINTERGRUND / AKUSTISCHE UMWELTVERSCHMUTZUNG
24/12/12 Die Trophäe ist anschaulich: ein von einem Nagel durchbohrtes Ohr. Und wer waren diesmal in der Vorweihnachtszeit die radikalsten Ohren-Bohrer? Die Negativauszeichnung "Zwangsbeschaller 2012" ist nach Salzburg gegangen, an die Hollister-Filiale im Europark.
„Bei Testkäufen hier wurden Schallpegelwerte bis zu 99 Dezibel gemessen“, begründet Peter Androsch, Sprecher der Kampagne „Beschallungsfrei – Gegen Zwangsbeschallung“. Der weihnachtliche Musik-Lärmpegel in dem Textilgeschäft habe „der akustischen Leistung einer Kreissäge“ entsprochen.
In Salzburg wurde die Lautstärke der Weihnachtsmusik in dreißig Geschäften gemessen, bundesweit waren es rund 320 Geschäfte. Die Kampagne wird seit 2008 von der „Hörstadt Linz“, der Katholischen Kirche Oberösterreich und der Gewerkschaft der Privatangestellten durchgeführt. Die Motivationen mögen durchaus unterschiedlich sein. „Wir wollen und werden auch in Zukunft darauf aufmerksam machen, dass diese Zwangsbeschallung von ArbeitnehmerInnen und natürlich auch von KundInnen mit Hintergrundmusik nicht nur prinzipiell eine Zumutung und eine Verletzung unseres Menschenrechts auf körperliche Souveränität ist, sondern vor allem ein gesundheitsschädlicher Stressfaktor erster Güte", so der Geschäftsführer der GPA-djp Salzburg, Gerald Forcher. Die Gewerkschaft setze sich dafür ein, die Arbeitsbedingungen der Angestellten gerade auch in Zeiten hoher Kundenfrequenz korrekt und so angenehm wie möglich zu gestalten.
Bringt die weihnachtliche Musikberieselung eigentlich etwas? Das Kaufverhalten werde nicht wirklich positiv beeinflusst, haben Untersuchungen ergeben. Aber Lautstärkeexzesse mit solchem Dezibel-Pegel seien „dafür verantwortlich, dass jeder fünfte Österreicher über 14 Jahren irreparabel hörgeschädigt sei“, so Kampagnen-Sprecher Peter Androsch.
Wie hat man bei Hollister auf die „Ehre“ reagiert? Die Leitung der Filiale habe sich nicht blicken lassen, heißt es. Also hat man die Trophäe im Geschäft deponierte, vor den verdutzten Angestellten. Die Europark-Geschäftsführung sei nicht gerade erbaut gewesen von der vorweihnachtlichen Intervention: „Vertreter der Kampagne und mehrere Redakteuri und Redakteure, die über den Zwangsbeschaller berichten wollten, wurden von der Leitung des Europarks aus dem Einkaufszentrum gewiesen“, heißt es in der Presseaussendung.
Der Gerechtigkeit halber muss man freilich auch erwähnen: Nicht überall im Europark geht einem die Musik durch Mark und Bein. Die Thalia-Filialen beispielsweise verzichten österreichweit ganz auf Beschallung. Auf der Plattform www.hoerstadt.at sind beispielhaft leise Unternehmen und Institutionen aufgelistet. Auf dieser Liste obenauf: der Nationalrat. Dabei wäre man erade im Parlament gelegentlich dankbar, wenn manche Politiker-Platitüde übertönt würde. Wie man's macht ist es falsch. (OTS/dpk-krie)