Energiegeladene Totenmesse
DIALOGE / MOZART-REQUIEM
03/12/12 Die Dialoge endeten traditionell mit einer Aufführung des Mozart-Requiems. In nächster Nähe zum Todestag gehört sich das so in Salzburg. Schön, dass auch diesmal wieder ein zeitgenössischer Komponist in den Dialog mit dem Genius loci trat.
Von Gottfried Franz Kasparek
Manfred Trojahn hat ein „Libera me“ komponiert. Es basiert auf einem Miniatur-Fragment Mozarts, welches sich im Besitz der Stiftung Mozarteum befindet. Diese sechs Takte, die nichts mit dem Requiem zu tun haben, könnten von jedem anderen Komponisten der Mozart-Zeit stammen. Aus der simplen Tonfolge ergibt sich D-Dur, aber Trojahn hat kein simples Stück daraus gemacht, sondern eine geistliche Arie für Tenor und Streicher, die sich kunstvoll über einem rhythmischen Grundmuster entwickelt und sich am Ende in d-moll verwandelt, also in die Tonart des Beginns von Mozarts Werk. Ein schönes, ernstes, knapp viertelstündiges Stück, welches bei der Uraufführung zwar nach einer kurzen Generalpause gleichsam in das Introitus überging, jedoch starken Eigenwert besitzt.
Der junge Brite Andrew Staples war Sängerknabe in der St. Paul’s Cathedral und mit nahezu vibratoloser, knabenhafter Inbrunst setzt er seinen gut sitzenden lyrischen Tenor, der ein wenig an Peter Schreier erinnert, auch ein. Louis Langrée begleitete mit der Camerata Salzburg aufmerksam.
Und dann war, in der Fassung Franz Xaver Süßmayrs, die doch die schlüssigste von allen bleibt, in 45 Minuten alles vorbei. Langrées Interpretation des Requiems ist rekordverdächtig, was das straff durchgehaltene Tempo, pulsierende Rhythmik und geballte Kraftentfaltung betrifft. Das hatte große Wirkung, tollen Effekt, besonders als es um das energisch in den Raum geknallte Dies irae ging. Die Camerata spielte mit Hingabe und Perfektion, ein Sonderlob gebührt der Posaune. Der phänomenale Salzburger Bachchor, blendend eingestellt von Alois Glaßner, erhielt zu Recht den größten Applaus. So exakt, so intonationssicher, so klangschön bei aller Lautstärke und so intensiv im Ausdruck agieren nicht viele Chöre. Malin Hartelius, Bernarda Fink, Andrew Staples und der mit des Basses Grundgewalt gesegnete Hanno Müller-Brachmann ergaben ein Solistenquartett ohne Fehl und Tadel.
Sehr barock mutete Mozarts Schwanengesang, der ja sicher nicht als solcher geplant war, in dieser Interpretation an. Aber – sollte da im Benedictus nicht doch ein wenig mehr Platz für Lyrik bleiben? Steht das Lacrimosa nicht deutlich an der Schwelle zur Romantik? Ist der Atem dieser Musik wirklich ständig der eines Marathonläufers im Ziel? Solche Fragen darf man stellen – und kann dennoch feststellen, dass es eine Respekt einflößende Aufführung war. Und eine sehr diesseitige, die trotz der Gedenkminute nach dem Finale wohl niemand von Trauer erfüllt verlassen hat.