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Ist die Moderne „wienerisch“?

ASPEKTE FESTIVAL

10/05/12 Die österreichische anscheinend ja. Klangsinnlichkeit, immer wieder distanzierend gebrochen und weitab von jeglicher „Postromantik“, war das Leitmotiv durch den Eröffnungsabend der 35. Aspekte.

Von Heidemarie Klabacher

Auf dem Festprogramm standen Werke von vier Komponisten und einer Komponistin. Die Geburtsjahrgänge: Webern 1883, Cerha 1926, Ager 1946, Kalitzke 1959, Karastoyanova-Hermentin 1968. Etwas mehr als ein Jahrhundert Musikgeschichte ist damit abgedeckt. Was am Mittwoch (9.5.) im Solitär des Mozarteums so besonders faszinierte – abgesehen von den gestochen scharfen Bildern und den erhellenden Blicken des oenm auf die einzelnen Werke – war deren stilistische Geschlossenheit.

Die geballte Kraft der Miniaturen von Anton Webern hat noch niemand besser umschrieben, als Arnold Schönberg mit seinem Wort vom „Roman durch eine Geste“, von „einem Glück durch ein einziges Aufatmen“. Als Streichquartett mit der Klangkraft eines Symphonieorchesters hat das Stadler Quartett die 5 Sätze für Streichquartett op. 5 und die 6 Bagatellen für Streichquartett op. 9 vorangestellt.

1995 hat Friedrich Cerha, der dieser Tage in Salzburg anwesend ist und im Solitär stürmisch bejubelt wurde, seine 8 Sätze nach Hölderlin Fragmenten für Streichsextett geschrieben. Cerha selber hat seine Hörer nun einmal auf diese literarische Spur gesetzt (er habe lange überlegt, ob er das tun soll, verrät das Programmheft). Daher sieht man tatsächlich immer wieder etwa einen noch jungen Eremiten über die flirrendheißen Stätten und schattigen Haine Griechenlands wandern, oft gar nicht weit weg vom Rande des Abgrunds. Da gibt es flirrende Klänge, die wie Hitzebilder über dem Asphalt im Raum zu stehen scheinen, große gesangliche Linien, die von Augenblicken der Ruhe und Versenkung erzählen – oder einen virtuosen „Hummelflug“ der Unruhe und des Suchens. Die Spannung zwischen den Momenten großer in sich ruhender Geste und aufwühlender Unruhe ist enorm. Konzentriert bis zur Atemanhalten lauscht man diesen Klängen.

Ganz ähnlich die Sogwirkung von Johannes Kalitzkes „Figuren am Horizont“. Diese Fünf Nachrufe für Solovioline und 6 Spieler sind als Auftragswerk des Bayerischen Rundfunks vom oenm unter der Leitung des Komponisten bei den Aspekten uraufgeführt worden.

Bild für Bild müsste man da genauestens beschreiben, die Skizze für ein unbewohnbares Haus etwa, oder die Skizze für ein Haus im Licht. Auch das sind Zustandsbilder – nicht nur der Seele, sondern auch der Musik in ihrer Geschichte. Kalitzke spielt mit Zitat und Wiedererkennen, aber auch einfach mit musikalischen Grundhaltungen. So ist das „Gebet auf eine schiefe Uhr“ tatsächlich eine Art frommer Gesang – freilich an einen Gott, den der Mensch längst abgeschafft hat. „Travestia de Tristano“ klingt wie eine Tarantella, für die sich Hesperion XXI mit einem Jazzgeiger statt mit Jordi Savall und seiner Gambe zusammengetan hat. Das „Wienerlied“ das wie Geisterhauch am Ende der „Skizze für ein Haus im Licht“ herüber klingt rührt beinah zu Tränen. So weit weg von „Programm“-Musik auch diese Stücke sind: Bilder, Anklänge, Assoziationen entstehen, und sei es der Gedanke an einen Schubert’schen Wanderer, der auf einem verwahrlosten Bahnhof vergeblich auf Anschluss waretet.

Klaus Ager, der die Aspekte gegründet und von 1977 bis 2006 geleitet hat, hat für das Jubiläumsfestival „Bruchstücke für Ensemble“ geschrieben. Auch er zitiere, so Ager über sein Werk: gut versteckt im Klang Ravel und noch besser versteckt in der Struktur Webern. Beim Hörer ankommt jedenfalls ein durchaus romantisches Klangbild, zu dem Komponist immer wieder quasi ironisch auf Distanz zu gehen weiß.

Unruhige Impulse, die sich rhythmisch gegeneinander zu verschieben und wieder zur Deckung zu kommen scheinen, stehen am Beginn von Alexandra Karastoyanova-Hermentins neuem Werk „Elimo“. Wenn man weiß, dass sich das Tropfen-Motiv aus Purcells „Cold Song“ hier verbirgt, hört man es auch. Das rhythmische Element bleibt dem Stück als dynamisches Vorwärtsstreben erhalten. Geradezu überirdisch schillernd ist ein Mittelteil, der von Flageolett-Tönen dominiert wird. Das präparierte Klavier klingt plötzlich wie ein Cembalo. Dynamische Grundhaltung, wunderschöne Solominiaturen, etwa für die Klarinette mit ätherischen zweistimmigen Passagen, aufregende Klangeffekte etwa mit gestrichenen Gläsern, und östlich gefärbtes Tonmaterial, von Alexandra Karastoyanova-Hermentin in eine überzeugende Form gegossen, ließen die Aufmerksamkeit keinen Augenblick abdriften.

Bilder: Wolfgang Kirchner

 

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